Halbblutlehrerin gibt es nicht? Ähm… Doch?!

Heute habe ich mal einen etwas anderen Blogeintrag. Eigentlich ist es eine Antwort für Twitter. Aber ich lehne dieses Konzept mit diesen Kurznachrichten mit jeder Faser meines Körpers ab. Es ist für mich per Design das Problem unserer Welt: Ich habe Platz für eine Message, eine Meinung – aber nicht für Begründung, für Differenzierung, für Analyse. Für mich ist Twitter in dieser Hinsicht zugleich (Teil)Ursache und Symptom für die Probleme unserer Welt. Die Trumpisierung der Welt sozusagen. Nun, warum bin ich dann überhaupt bei Twitter?! Bin ich eigentlich nicht. Aber seit gestern habe ich einen Account. Und zwar, um einem Menschen zu helfen, der mir sehr wichtig ist. Es geht um einen Menschen, mit dem mich sehr viel verbindet. Mit dem ich bei jedem Gespräch geradezu in der Diskussion versinke und nachher feststelle, dass ich das meiste, das ich erzählen wollte, schlicht vergessen habe, weil ich so durch die Themen getrieben bin. Ich habe über zwei lange Gespräche sogar schlicht vergessen, zu erzählen, dass ich Vater wurde. Es war dafür irgendwie schlicht keine Zeit – auch wenn es drei Stunden waren. Sie ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der intelligenteste, mit absoluter Sicherheit der hilfsbereiteste und – da will ich nicht differenzieren, sondern halte es etwas allgemeiner – in jedem Fall zugehörig der Gruppe der tollsten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Sie ist einer meiner besten Freunde (jeden Geschlechts jetzt) und meine Ex-Freundin. Und in den vergangenen Monaten und Jahren wurde sie zu einer kleinen Twitter-Berühmtheit. Ihre Tweets unter dem Handle @MelsGedanken erlangten einige Aufmerksamkeit. Viele gingen viral. Sie hat über 30.000 Follower und eine eigene Rubrik bei Twitterperlen und so weiter.

Sie hilft – andere haben kein Leben

Mel ist ein Mensch, der immer mit einem Gedanken dabei ist, Menschen zu helfen. Und das tut sie auch hier. Sie hat die Popularität genutzt, um eine ganze Menge Projekte anzustoßen. Manchmal hat sie Spenden gesammelt – meist macht sie es ganz niederschwellig mit eigenem Geld. Dabei wurde ihr dann gesagt: Die Leute hätten ein Recht, zu erfahren, wem sie nun hilft. Wohlgemerkt: Mit ihrem eigenen Geld. Fun-Fact: Nö, habt Ihr nicht. Geht Euch nen Scheißdreck an! Ihre Tweets sind meist lustig. Viele haben eine Aussage, die unserer Gesellschaft oder unserem Bildungssystem gegenüber sehr kritisch ist. Andere sind einfach nur „Mel hat mal wieder rumgeschusselt“, oder es geht um ihren Garten, für den sie Blümchen rettet. Sie ist der einzige Mensch, den ich kenne, der – in Abstimmung mit dem Baumarkt – Blumen Containert. Und so weiter. Nun würde man sagen: Toll. Solche Menschen brauchen wir doch. Sehen aber nicht alle so. Irgendwann wurde eine Twitter-bubble selbsternannter Aufklärer auf sie aufmerksam und die Dinge, die sie mir erzählt hat, machen mich echt sprachlos. Menschen werden gestalkt, als man glaubte, die ausfindig gemacht zu haben, wurden kompromittierende Bilder einer ganz unbeteiligten Frau wild im Netz verbreitet. Menschen drangen auf ihr Grundstück ein – man hatte sie dann doch gefunden. Es gab Anrufe bei jedem außer dem Weihnachtsmann, um irgendwie Dinge zu bestätigen. Die Existenz ihrer besten Freunde und Mitbewohner (selbst Twitter-user) wurde schlicht bestritten und sogar der Tod ihrer Mutter wurde in Zweifel gezogen. Kurz: Irgendwelche Deppen hatten kein Leben und wollten ihres zerstören.

Ich schreibe, also bin ich

Daraufhin hat sie zunächst mal den Account deaktiviert und überlegt, was sie tun will. Sie fragte auch mich – aber auch viele andere – um Rat und hat sich nun entschlossen, weiter zu machen und sozusagen ihre Existenz bestätigen zu lassen. Und sie bittet Menschen, die sie auch offline kennen, dies zu tun und zu sagen, dass sie sie ist. Darum also bin ich jetzt bei Twitter. Natürlich ist Mel, wer sie sagt, dass sie ist. Alle Geschichten stimmen, ihre Mitbewohner existieren und auch sonst stimmt alles. Das kann ich hiermit bestätigen. Klar kann man jetzt sagen: Ich bin ja auch nur der drölfzigste Account. Mein erster Tweet ist die Bestätigung? Sehr glaubhaft. Eben darum – zusätzlich zu der oben erwähnten Twitter-Ablehnung – mache ich das hier. Wenn Ihr Pfeifen glaubt, Ihr wäret wichtig genug, dass ich eine ganze Seite mit stundenlanger Arbeit für Blogeinträge und so weiter nur für Euch investieren, dann schminkt Euch das ab. Würde ich nicht. Für Mel würde ich es zwar tun – aber das ja nur dann, wenn ich und sie existieren und dann beißt es sich in den Schwanz. Ich hoffe, so viel Logik ist in diesen krampfenden Hirnen zu verorten. Wir werden sehen.

Warum ist das überhaupt wichtig?

Viel entscheidender, als die Frage, ob Mel real ist oder nicht, ist für mich aber eine ganz andere Frage: Warum ist das überhaupt wichtig? Machen wir mal ein Gedankenexperiment: Nehmen wir an, Mel existiere nicht. Der ganze Account sei eine Kunstfigur, der Autor ein… keine Ahnung…. dicker LKW-Fahrer aus Gelsenkirchen. Wäre dadurch nur eine der Aussagen weniger wertig? Wäre nur einer Lacher, den sie bzw. dann er hervorgerufen hätte, weniger wertvoll? Dr. Faust ist eine Kunstfigur. Der Kleine Prinz ist eine. Mr. Keating ist eine. Sophie aus Sophies Welt ist eine – aber die Wahrheiten, die sie verkünden, sind dadurch doch nicht weniger wert. Oft sogar im Gegenteil! Selbst dann wäre es ein Mittel der Kunst. Warum muss so etwas zu Tode analysiert werden?! Ihr selbsternannten Aufklärer, habt Ihr Harry Potter gelesen? Oder den Schwarm? Schaut Ihr gern Mission Impossible oder irgendwelche Serien? Ich hab eine GANZ schlechte Nachricht für Euch, wenn Ihr Kunstfiguren ablehnt…

Aber noch einmal: Dieser Absatz ist ein reines Gedankenexperiment um die Absurdität Eurer Position darzulegen.

Auch Ihr seid Kunstfiguren

Übrigens würde ich sogar noch weiter gehen: Jeder Mensch auf Social Media ist ein Stück weit eine Kunstfigur. Es ist immer ein Ausschnitt der Persönlichkeit. Psychologisch übrigens auch sehr gut zu begründen. Das geht hervor aus dem System von „likes“ ohne „dislikes“ (die es aus diesem Grund auch niemals geben wird). Man wird konditioniert. Bestimmte Dinge bekommen viele Likes und da wir soziale Wesen sind, wünschen wir uns Zustimmung. Die erhalten wir hier und sind darum auf den Plattformen. Damit werden automatisch bestimmte Verhaltensweisen verstärkt. Da das Korrektiv der Sanktionierung (eben durch Dislikes) entfällt, posten einige jeden Abend ihr Essen, andere ihren Sport und wieder andere ihre poltischen Ansichten oder was weiß ich. Das Ding heißt „operante Konditionierung“. Das heißt: In gewisser Weise ist natürlich „Halbblutlehrerin“ (MelsGedanken) in dieser Hinsicht eine Kunstfigur. Mein Account auch – wenn auch nicht auf Twitter. Und auch Ihr Kritiker seid Kunstfiguren. Ihr stellt Euch selbst als Aufklärer in strahlender Rüstung dar – davon, dass Ihr Euch jeden Abend in den Schlaf weint, weil Ihr keine Freunde habt, dürfte da nichts drin stehen. Weder Eure Selbstzweifel, noch Eure Unzufriedenheit wegen Übergewicht oder so stehen da. Es steht nicht da, dass Eure Wohnung mal wieder gar nicht aufgeräumt ist, dass Ihr mal wieder Mist bei der Arbeit gebaut habt oder mit dem Auto jemandem die Vorfahrt genommen habt. All diese Dinge bringen keine Likes. Damit werden sie nicht verstärkt und fallen weg. Ganz davon ab, dass man sie am liebsten gar nicht im Leben hat und dann natürlich „löscht“, wenn man es kann – wie eben bei der eigenen Kunstfigur der Online-Präsenz. Wenn Ihr also von anderen verlangt, offen und transparent zu sein: Fangt doch bei Euch an. Stellt Klarnamen, Adressen, Telefonnummern rein. Wer ohne Sünde ist…. Also: Bevor Ihr Steine werft fangt vielleicht bei Euch selbst an?!

Menschheit: Projekt gescheitert!

Für mich ist diese Sache ein weiteres Symptom das zeigt: Dieses „Menschheit“ ist gescheitert und wird sich nicht durchsetzen. Wir sind eine Spezies aus Neid, Missgunst, Selbstzerstörung und Ignoranz. Und es gibt sogar viele Menschen, die das spüren. Die schreien dann, alles sei kacke und wir müssten etwas ändern. Und vermutlich sind die selbsternannten Freiheitskämpfer des Internets ganz vorn dabei. Nun ist das eine, etwas zu fordern, das andere, etwas zu tun. Und hier sind wir beim Problem: Manche Leute tun etwas. Jede(r) auf seine/ihre Art. Mel hilft Menschen. Sie schreibt darüber, um die Leute, die Hilfe brauchen, zu erreichen und ausfindig zu machen. Und sie mag Spaß und verbreitet den. Oder auch ein Stück weit heile Welt mit Blümchen und Eichhörnchen. Nicht, um sich selbst gut darzustellen. Dann könnte sie noch GANZ andere Dinge schreiben. Einfach, weil sie so ist. Andere werden politisch aktiv oder gründen Initiativen. Manche positionieren sich für Rad- oder Fußverkehr in Städten. Oder gegen die Kohleverstromung. Für Tierrechte oder den Klimaschutz. Und die Folge ist fast immer: Man begegnet ihnen nicht auf der Sach- sondern der persönlichen Ebene. Greta Thunberg wird fast nie inhaltlich kritisiert. Denn da hat sie einfach zu viele Argumente. Lieber greift man ganz andere Dinge an und versucht, ihr das Leben so schwer wie möglich zu machen. Dann ist sie dafür verantwortlich, dass Toastbrot nunmal in Plastiktüten verkauft wird oder so. Luisa Neubauer ebenso. Friedrich Merz hat versucht, ihr auf der Sachebene entgegen zu treten und hat sich (bei Lanz) ziemlich lächerlich gemacht. Davor haben wir Angst. Also versuchen wir lieber, diese Menschen, die aufstehen und nicht akzeptieren wollen, dass unsere Welt den Gully runter geht, auf der persönlichen Ebene wegzubeißen. Mich wundert nicht, dass der Film „A World Beyond“, den ich total mag, kommerziell einer der größten Flops der Filmgeschichte war. Einen Menschen, der etwas ändern will und Finger in die Wunde legt auch noch heroisieren? Nee, das geht zu weit.

Faust ist anstrengend – Hail Trump!

Unsere Gesellschaft schaufelt sich ihr eigenes Grab. Statt Aktivisten und Kritiker mit offenen Armen willkommen zu heißen und ihre Argumente anzuhören, statt uns von Menschen wie Mel, die inspirieren und aufrütteln könnten, motivieren zu lassen, folgen wir dem Dümmsten, was unsere Doppelhelix hervorzubringen in der Lage ist. Trump und Bolsonaro, Johnson und Orban werden zu politischen Stars. Von der Szene moderner Küntler und „Stars“ ganz zu schweigen. Man schaue nur mal die gescripteten Realityformate bei RTL von Big Brother bis Bauer sucht Frau, von Beauty and the Nerd bis Dschungelcamp (und mir ist ziemlich egal, ob davon jetzt eins bei Pro7 oder Sat1 läuft!) Nein, wir müssen nicht alles gut finden, was Menschen, die sich engagieren, tun. Natürlich kann ich anderer Meinung sein, als Greta, als PETA – oder Mel. Aber ich kann dem auf der Sachebene begegnen und versuchen, Argumente zu finden. Im Sinne einer Dialektik und einem demokratischen Diskurs. Ich fürchte nur: Das wird auf Twitter mit ein paar Zeichen echt uncool und unübersichtlich. Dann lieber „Du bist doof“. Das passt sogar in nen Tweet. Und dann rufe ich wild das gesamte Telefonnetz an, um Fehler zu entdecken und die Sachebene zu vermeiden. Könnte ja rauskommen, dass ich Unrecht habe und nachdenken und vielleicht meine Meinungen und Einstellungen, vielleicht gar in der Folge mein Leben ändern muss. Dieses denken haben doch schon die Trumps und die Marketingstrategen der Welt für mich erledigt. Lieber konsumiere ich artig, richte den Planeten und unsere Spezies zu Grunde und schimpfe auf die Mahner. Oder die, die zum denken, zum Umdrehen, zum Helfen, zum differenzieren animieren könnten. Immerhin das ist dann auch authentisch und keine Kunstfigur. Denn so dämlich sind die meisten Menschen tatsächlich…

9 Kommentare zu „Halbblutlehrerin gibt es nicht? Ähm… Doch?!

  1. Sehr gut geschrieben und es ist schön, dass Mel solche gute Freunde an ihrer Seite hat.
    Es ist schrecklich, was passiert ist… und unverständlich, warum Leute soetwas tun.
    Your take on the society is quite right – I wish it weren’t. Vielleicht das erklärt diesen Hexenjagd am besten…
    Alles Gute für dich…

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    1. Vielen Dank! Ich glaube, wenn wir von solchen Leuten unsere Gesellschaft Hijacken lassen, dann fährt der Karren umso schneller vor die Wand. Darum ist es einfach wichtig, sich dagegen zu stellen. Mal ganz davon ab, dass ich es für Mel ohnehin immer und ohne zu zögern tun würde – und noch viel mehr!

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  2. Habe es auf Twitter gelesen, vielen Dank!
    Ich kenne Mel leider nicht persönlich aber die ihr auf Twitter und mag sie.
    Ich finde es super, dass sie Menschen wie Dich als Freunde im RL hat.
    Liebe Grüße an sie, ich vermisse ihr vorlesen und hoffe es geht ihr einigermaßen.
    😘
    Claudia

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    1. So, war vorhin nur mobil unterwegs und jetzt hab ich noch etwas Zeit. Daher: Danke für den Beitrag. Ich denke, dass es normal ist, seinen Freunden beizustehen. Du bist eine von ganz Vielen, die mir schreiben, dass es so besonders wäre und so toll. Ich find das ehrlich gesagt wirklich schade, dass es in unserer Welt etwas besonderes sein soll, einem guten Freund zur Seite zu stehen. Ein Post zu schreiben ist nicht mal ein Promill dessen, was ich bereit wäre, für sie zu tun.
      Aber dessen ungeachtet weiß ich zu schätzen, was Du schreibst. Bitte nicht falsch verstehen 🙂

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  3. Das dieser Blogeintrag notwendig wurde ist ist schlimm, dass er geschrieben wurde sehr schön! Es stimmt mich zuversichtlich, dass Mel trotz aller Widrigkeiten weitermacht und das Menschen wie Du, aus der Anonymität heraustreten, sich ebenfalls „in den Sturm stellen“ und Mel zur Seite stehen, macht mehr als Hoffnung! Danke!

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    1. Wie schon oben geschrieben: Ich find das nicht einmal eine große Sache. Schön, wenn Leute es gut finden und der Zuspruch ist eine tolle Sache und freut mich. Aber eigentlich würde ich mir wünschen, dass das völlig normal ist und nicht 500 Follower binnen ein paar Stunden und über 7000 Likes (kumuliert) im Thread wert ist. Wenn sich genug Leute offen hinstellen, können die Hater doch eh nix mehr machen.

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