Von Aufrüstung Krieg und der Frage, ob ich zur Waffe greifen würde

Jüngst sah ich Bosetti Late Night. Und da gab es eine hoch interessante und komplexe Diskussion. Es ging im Endeffekt um die Ukraine und die Frage: Wie sollte man da agieren. Sollte man kämpfen? Sollte man Russland einfach geben, was es möchte? Es war ein Mensch zu Gast, der als Publizist dafür votiert, dass es keinen Grund gebe, mit der Waffe in der Hand zu kämpfen. Ganz kurz ist seine Argumentation die alte pazifistische Lehre, dass mich mehr von den Leuten trennt, die mich in den Krieg schicken, als von den Soldaten der Gegenseite. Also werde er niemals mit der Waffe in der Hand kämpfen. Einzige Ausnahme: Ein Vernichtungskrieg nach Art der Nazi-Diktatur. Also: Wenn er selbst nur durch die Waffe in der Hand als einzige Chance seine sichere Auslöschung verhindern könnte, würde er kämpfen. Er bezeichnet sich als „relativ klassischer Sozialist“, der eben nicht für ein Land kämpfen würde. Und er bekam in einer übrigens bemerkenswert sachlichen und angenehmen Diskussion natürlich ordentlich Feuer. Bosetti z.B. fragte: Es gibt also einen Punkt, an dem Du kämpfen würdest. Aber wo genau verläuft die Grenzlinie? Ist es wirklich nur die totale Auslöschung? Was ist, wenn Kinder um ich herum getötet würden, die nicht Du sind, nicht Deine Kinder? Und so weiter. Er hat sich um diese Antworten durch (vorgetäuschten?) Mangel an Verständnis für die Fragestellung gedrückt.

Was können wir, was kann ich daraus ziehen?

Ich verfolge das und frage mich: Wo wäre ich in dieser Diskussion. Wie wäre meine Antwort? Ich bin mir auch sehr sicher, dass ich mir eigentlich nicht vorstellen könnte, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Klar könnte ich mich jetzt darauf zurückziehen zu sagen: Ich bin 47. Die 50 ist nahe. Bis man mich an die Front schickt, wäre ne ganze Menge anderer Leute dran. Das ist billig. Also versetze ich mich dieser hypothetischen Zukunft in einen 20-Jährigen. Wohlgemerkt: einEN. Also keine Ausreden. Fit, gesund, T1 gemustert: gib ihm. Ich wäre der allererste, der nach ganz vorn geschickt würde. Oder wir reden von meinem Sohn. Der hätte zwar noch ein paar Jahre, aber die gehen ja schnell rum. Will also sagen: keine Ausreden, nur die reine moralische Frage. Meine erste Reaktion, rein emotional, wäre sehr nah an dem Bosetti-Diskutanten. Ich kann mir schwer bis gar nicht vorstellen, auf Menschen zu schießen. Und ich muss sagen: Ich weiß nicht einmal, ob mir das leichter fallen würde, als auf mich schießen zu lassen. Wofür würde ich kämpfen? Wann wäre der Punkt erreicht, zu einer Waffe zu greifen? Gäbe es den überhaupt?

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Wenn Du den Frieden willst…

Generell bin ich absoluter Pazifist. Wie gesagt, ich kann es mir nicht vorstellen. Meine Weltsicht ist eine, in der Waffen eine totale Absurdität sind. Für mich gibt es schlicht keinen denkbaren Grund, eine Waffe herzustellen, zu kaufen, zu besitzen. Nichtmal die Jagd. Immerhin esse ich seit mittlerweile acht Jahren kein Fleisch mehr. Natürlich könnte ich mir jetzt nen schlanken Fuß machen und sagen: Jo, da samma. Keine Waffen, kein Krieg, ich kämpfe nicht, schönen Tag noch. Aber das klappt natürlich nicht, denn ich weiß, dass andere Menschen das ganz anders sehen. Es gibt Menschen, die bauen, kaufen, nutzen Waffen, um von anderen Menschen Dinge zu nehmen, die ihnen nicht zustehen. Oder man kann vielleicht sogar in manchen Fällen sagen: Die ihn vielleicht zustehen würden, die sie aber nicht kriegen. Da wären wir dann unter anderem tief in der Theorie des Klassenkampfes. Aber das Fass lassen wir jetzt mal zu. Das Ding ist: Pazifismus ist schön, aber wenn alle pazifistisch sind reicht ein einziger, der aggressiv ist und alle werden zu Opfern. Das funktioniert natürlich nicht. Also wird es auf Sicht Waffen brauchen. Leider! Da sind wir dann im (sicher nicht pazifistischen) Rom und bei dem Satz „Si vis pacem, para bellum“. Also: Wenn Du Frieden willst, rüste Dich für den Krieg. Oder anders gesagt: Sei so stark, dass niemand sich traut, Dich anzugreifen. Dann hast du Frieden. Am Ende ist das ja, was Deutschland gerade macht. Und insgesamt auch Europa. So weit so gut. In der Theorie sind wir da also bei einer Art Pazifismus durch die Hintertür. Halte Deine Waffe so groß, dass Du nie damit schießen musst. Eigentlich ist das also ein ähnlicher Ausweg (ein vergleichsweise guter, auch wenn es mir um die Wirtschaftsleistung, die so verbrannt wird, echt Leid tut!) aus dem moralischen Dilemma, wie das „ich bin zu alt“.

Nationalität bedeutet mir nichts. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sehr wohl

Gehen wir also noch einen Schritt weiter und stellen uns vor: Wir haben militärisch ähnlich starke Gegner, die einander gegenüber stehen. Ich bin Bürger eines davon – in meinem Fall halt Deutschland – und mir gegenüber steht ein anderer. Sagen wir Russland. Könnte aber auch ein ganz anderes Land sein. Und jetzt geht es darum, ob ich mit der Waffe in der Hand kämpfen würde. Es wird zu den Waffen gerufen. Würde ich gehen? Würde ich mich verstecken? Würde ich erst zur Waffe greifen, wenn mir mit Haft gedroht würde? Oder erst dann, wenn es der Tod wäre? Wann würde ich kämpfen? Und hier wird es spannend. Mein erster Gedanke eben in dieser Diskussion war: Ich kann mir auch nicht wirklich vorstellen, für ein abstraktes Gebilde wie einen Staat zu kämpfen. Ich lebe gern in Deutschland und schätze vieles hier. Meinungs- und Pressefreiheit, Bildung, Rechtsstaatlichkeit, Gesundheitsvorsorge, Sozialsysteme, sogar die Infrastruktur (auch wenn sie mal besser war) und so weiter. Es gibt also durchaus vieles, für das es sich lohnen würde, zu kämpfen. Für mich persönlich gehört „Deutsch sein“ aber nicht dazu. Am Ende ist mir völlig egal, ob wir hier Deutschland, Frankreich, England oder die Niederlande sind. Ich spreche ausreichend englisch, dass ich mich in einem England sofort zurechtfinden würde. Mein Französisch hätte ich vermutlich in spätestens nem Jahr so weit und Niederländisch würd ich mir auch noch drauf schaffen. Und so sehr ich die Niederlande im Fußball nicht mag und als Konkurrent sehe: Vermutlich wäre gerade Letzteres sogar gar nicht das schlechteste. Objektiv finde ich die Niederlande als Land eigentlich ziemlich gut. Also: Ich würde nicht dafür kämpfen, dass der Niederrhein Deutsch bleibt und nicht z.B. Niederländisch wird, so lange die Niederlande halbwegs bleiben, was sie sind. Das ist sicher. Auch nicht unter Androhung von Gefängnis. Bei Androhung der Todesstrafe… Puh… Vielleicht würde ich dann versuchen, möglichst im Hintergrund zu bleiben oder mit bei erster Gelegenheit ergeben und als Kriegsgefangener weitermachen.

Der Kampf für andere Menschen

Aber würde ich dafür kämpfen, dass der Niederrhein nicht russisch wird? Da sind wir bei einer ganz anderen Frage. Viele der von mir bezeichneten Dinge, die ich an Deutschland schätze, gibt es in Russland (derzeit!) nicht. Meinungs- und Pressefreiheit, Rechtsstaatlichkeit und so weiter sind in jedem Fall dabei. Auch einige andere Dinge die recht weit vorn im Grundgesetz stehen. Z.B. die Rechte von Menschen bestimmter Orientierung wie beispielsweise LGBTQ (OK, steht nicht explizit im Grundgesetz – leider – wird aber glücklicherweise heute meist so subsumiert). Nun könnte ich mir auch hier einen schlanken Fuß machen und sagen: Bin ich ja nicht. Aber ich glaube, hier würde der moralische Kompass schon etwas anders ausschlagen. Angst wäre dabei, keine Frage, aber rein von der Moral her könnte ich mir auf jeden Fall vorstellen, auf jemanden zu schießen, der Menschen nur aufgrund ihrer sexuellen Orientierung töten, wegsperren oder sonstwie ausgrenzen würde. Gleiches gilt für andere Eigenschaften. Insbesondere solche, die nicht von ihnen selbst beeinflussbar sind. Aber es gilt auch für Meinungen, politische Einstellungen etc. Insbesondere solche, die eben darauf ausgerichtet sind, vor allem anderen Menschen zu Gute zu kommen.

Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

Und da kommen wir der Sache dann für mich persönlich näher. Ich lehne das Konzept des Krieges vollumfänglich ab. Total. Ich verabscheue Waffen jeder Art. Vom Messer bis zur Atomrakete. Werkzeuge sind gut, das Messer als Werkzeug ist eine tolle Erfindung. Das Messer, um es einem anderen Menschen – oder Lebewesen – in den Bauch zu stecken? Passe! Ich lehne alle Menschen ab, auch in ihrer Eigenschaft als Mensch, die die Benutzung von Waffen als etwas positives bewerten. Aber ich muss leider (!) konstatieren, dass es eben durchaus viele dieser Menschen gibt. Und ich muss weiterhin konstatieren, dass ein Großteil der Menschen, auf die das zutrifft, nicht eben Menschenfreunde sind. Sie wollen die Waffen nutzen, um all die Dinge, die mir letztlich wichtig sind, zu beseitigen. Am Ende halt das Grundgesetz und Rechtsstaatlichkeit. Demokratie ist mir dabei in sich in erster Näherung sogar relativ egal. Ob ich unter einem Kanzler und Präsident lebe, der gewählt ist, oder einem gütigen König, wäre mir zunächst mal egal. Das Ding ist nur: Es gibt für den gütigen König keine Garantie. Den Kanzler und Präsident kann ich (also nicht ich persönlich, wir alle) abwählen, wenn er gegen das verstößt, was mir/uns eigentlich wichtig ist. Mithin ist für mich die Demokratie rein als Vehikel für Rechtsstaatlichkeit und die speziell vorderen Artikel des Grundgesetzes alternativlos. Es geht um das, was ich als Grundsatz guten, gelingenden menschlichen Zusammenlebens sehen würde. Es geht um die Grundzüge der menschlichen Gesellschaft, wie ich sie sehe. Übrigens habe ich eben überlegt, ob ich hier gendern sollte. Also KanzlerIn, KönigIn. Und ich habe mich bewusst dagegen entschieden. Denn ich glaube: Dieser ganze Mist ein ziemliches Testostreron-Ding. Länder mit weiblichen Regierungschefinnen waren bislang so weit ich das verfolgt habe eigentlich meist friedlich. Aber das nur nebenbei.

Nicht für „mein Land“, sondern „für mein System“

Und da sind wir dann vermutlich bei der Lösung des Problems. Zumindest für mich. Ich würde nicht „für Deutschland“ kämpfen. Gegen nichts und niemand. Ich mag Deutschland, aber nicht als Selbstzweck und weder die Flagge, noch die Hymne, die Sprache oder die Kultur (was auch immer das im Detail sein mag… Schnitzel? Bratwurst? Goethe? Fußball? Treppenhausputzplan oder Autowäsche?) würden mich dazu bringen, zu einer Waffe zu greifen. Ich würde aber für unser westliches Wertesystem kämpfen. Für Freiheit, für Rechtsstaatlichkeit, für Demokratie. Allerdings nur unter zwei Voraussetzungen: Nur zur Verteidigung und – in der Folge – nur auf eigenem Boden. Weder als „Präventivschlag“ noch zur Verbreitung der Demokratie oder gar anderer Dinge. Denn genau das ist das Wesen der Demokratie: Sie wird vom Volk legitimiert, aber auch erkämpft und erarbeitet. Wenn Menschen in China, in Arabien, in Russland oder anderen absolutistischen Systemen Demokratie wollen, dann gibt es nur einen sinnvollen Weg: dass sie sie sich holen. Anders hat es mit einer einzigen Ausnahme – Deutschland – nie in der Geschichte funktioniert. Kein anderes Land wurde je zur Demokratie gebombt. Zumindest keins, das ich kenne. Ich sähe es also weder als meine Verantwortung, noch würde ich bei mir das Recht sehen, Menschen irgendwo auf der Welt das gegen ihren Willen zu bringen. Würde ich zur Waffe greifen, um Menschen irgendwo in der Welt zu beschützen? Sagen wir, aktuell Alawiten in Syrien gegen die radikalen Muslime in der Übergangsregierung, Kurden gegen Übergriffe durch andere Volksgruppen in Türkei oder Irak, Volksgruppen in Bürgerkriegen auf dem afrikanischen Kontinent? Nun, ich würde gern sagen: Ja. Denn am Ende ist das eine Art der Zivilcourage. Auch nicht deutlich anders, als wenn ich mich in der Bahn vor einen Schläger stelle, der eine Frau angreift oder dergleichen. Dinge dieser Art habe ich schon getan (wenn auch immer deeskalativ, nie durch physische Gewalt), aber ich glaube, für einen bewaffneten Einsatz irgendwo auf der Welt, würde es nicht reichen. Da wäre es weniger die Moral, als der Mut, die mich vermutlich hindern würden.

Was bleibt unter dem ganz großen Strich?

Also, was heißt das alles zusammen? Wie stehe ich zu Aufrüstung, zu Waffengewalt und zu einem Krieg zum Schutz vor Aggressoren? Ich bleibe dabei, dass ich ein starker Fan einer regelbasierten Welt bin. Ein Freund von multilateralen Verträgen und einer Wirtschaftsordnung, die jede Art bewaffneten Konflikts unmöglich, undenkbar macht. Ich halte Krieg in jedem Falle für falsch. Einen „guten Krieg“ hat es in der Menschheitsgeschichte nie gegeben. Keinen gerechten, keinen gerechtfertigten. Krieg schafft immer Leid und Zerstörung und jeder Euro, Dollar, Pfund, Mark, Franc, Talent, Taler oder Bitcoin der Menschheitsgeschichte, das jemals für Waffen ausgegeben wurde, ist in meinen Augen grundsätzlich verschwendetes Geld. Aber so lange wir es nicht schaffen, Strukturen zu schaffen, in denen es schlicht keine Waffen gibt, sind sie wohl nötig. Nötig, um sich vor den ganzen Wahnsinnigen auf der Welt zu verteidigen. Und davon gibt es heute speziell in der Weltpolitik gefühlt deutlich mehr, als vernünftige Menschen. Ich ersehne mir eine Welt ohne Grenzen. Ohne Nationalitäten. Ohne Konkurrenz der Staaten gegeneinander. Eine Welt der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Hilfe und des Respekts. So lange es diese aber nicht gibt, werden wir wohl kämpfen müssen und unter den oben beschriebenen Voraussetzungen wäre ich persönlich dazu wohl bereit. Eine allgemeine Wehrpflicht zum Beispiel lehne ich aber ab. Wenn überhaupt, sollen sich die Menschen bewusst dafür entscheiden, mit der Waffe zu dienen. Und das auch nur zur Verteidigung des eigenen Territoriums. Ob wir dafür so viele hundert Milliarden ausgeben sollten? Nun, da bin ich durchaus differenzierter Ansicht. Ja, wir sollten ein Militär haben, das wehrhaft ist. Aber nicht zwingend in Deutschland, sondern in Europa. Insofern bin ich ein Befürworter einer gemeinsamen europäischen Armee. Würde die mit effizienten Strukturen versehen – anders als die Bundeswehr – wäre sie automatisch eine der stärksten der Welt und durchaus auf Augenhöhe mit China, Russland, Indien und Co. und nicht viel schlechter, als die USA. Inklusive französischer und idealerweise auch britischer (sollten sie dabei sein) Atomwaffen mit entsprechendem Abschreckungspotenzial. Das also wäre meine persönliche Zielsetzung. Zumal eine solche gemeinsame Armee auch eine gemeinsame Kommandosprache bedingen würde, die man auch zur Amtssprache machen könnte – ein ganz wichtiger und wertvoller Schritt in Richtung einer weiter gehenden europäischen Einigung und eines noch weiteren Abbaus von Grenzen. DAS wäre meine primäre Antwort auf Putin oder Trump: Ein geeintes, international auch nur oder fast nur als solches auftretendes Europa. Ein Wirtschaftsraum mit einer halben Milliarde Menschen – mehr als die USA oder Russland. Ein solches sollte dann mit den Erfahrungen unserer Geschichte nebst zweier Weltkriege auf hiesigem Gebiet, als weltweiter Friedenswächter auftreten. Ohne expansive Bestrebungen, ohne imperiale Gelüste. Sondern mit einer Außenpolitik, die vor allem anderen auf Frieden aus ist – aus der Stärke einer Weltmacht heraus. DAS wäre meine Antwort auf die Situation. Und ich bin überzeugt: Gelänge das, wäre die Frage, ob ich zur Waffe greifen würde, rein akademisch. Denn dann würde niemand einen Angriff wagen. Es wäre ökonomischer und strategischer (militärischer) Selbstmord. Das wäre dann die bestmögliche Umsetzung von Si vis pacem, para bellum. Und es würde Millionen Menschen ein schweres moralisches Dilemma ersparen.

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