Vermutlich hat jeder und jede, der oder die meinen Blog liest, den Fall mitbekommen. Der Name Brosius-Gersdorf löst in jedem halbwegs politischen Menschen in Deutschland etwas aus. Für viele eher Rechte bis Rechts-Konservative ist es gleichbedeutend mit dem Untergang des Abendlandes, viele andere schütteln ob der Causa so heftig mit dem Kopf, dass ein Schleudertrauma droht. Dabei erinnert mich die Diskussion tatsächlich so ein bisschen an Glauben. Gläubige Menschen zitieren einen Satz aus der Bibel und ziehen das als Beweis für was auch immer heran. Atheisten, die sich meiner Erfahrung nach mit den Werken üblicherweise weit mehr befassen, als die meisten Gläubigen, die nicht gerade Theologen sind, sagen „Öhm, Moment, Du musst aber bitte auch den Kontext heranziehen. Da steht zusätzlich XXX.“ Antwort in verschiedener Formulierung: „Du reißt es aus dem Kontext“. Öhm… Ja. Das rundherum mit rein zu nehmen reißt es aus dem Kontext. Nicht die einzelne Formulierung. Klar. Hier ist es ähnlich. Brosius-Gersdorf hat einige Sachen öffentlich postuliert, die zumindest kontrovers sind. Sie hat sich in ihrerer Funktion als Rechtswissenschaftlerin zu vielen Dingen geäußert. Und auffällig: Sie hat sich oft der am heftigsten diskutierten Sachverhalte unserer Zeit angenommen. Impfzwang, AfD-Verbot oder §218, also Abtreibung: Sie scheut kein heißes Eisen. Und sie liefert zu all diesen Sachverhalten öffentlich eine wissenschaftliche Einschätzung. Und zwar – ganz wichtig – immer mit klaren Wenn-Dann-Formulierungen. Bei ihren Kritikern kommt davon aber immer nur das „Dann“ an. Und plötzlich wird aus einer Juristin, die sich ganz steng an die Buchstaben des Gesetzes hält und bemerkenswert wissenschaftlich formuliert, eine linke Aktivistin und Extremistin. Übrigens: Bei allen genannten Punkten hat sie – immer zum Zeitpunkt der Aussage – mindestens zwei Drittel der Gesellschaft in Umfragen hinter sich. Aber schauen wir uns die Sachen mal im Detail an.
„Sie fordert öffentlich ein AfD-Verbot und ist politisch nicht neutral, was eine Richterin sein muss.“
Die aktuellste ihrer Aussagen, die kritisiert werden, befasst sich mit dem AfD-Verbot. Ich führte jüngst selbst eine Diskussion auf Facebook. Da kam dann das Statement: „[…] wörtlich „Ein Verbotsverfahren wäre ein ganz starkes Signal unserer wehrhaften Demokratie.“ Und ergänzte: „Aber (…) damit ist natürlich nicht die Anhängerschaft beseitigt.“ Bei Lanz , im Juli 2024 Dem ist nichts an Deutlichkeit hinzu zu fügen. Ein Richter , egal ob beim BvG oder beim Amtsgericht Kleckerhude , hat neutral zu sein . Wer so PR geil seine Meinung kundtut , kann nicht als neutral gelten“. Hört sich ja erstmal gut an. Nur ist das halt nur teilweise richtig. Sie hat in der besagten Sendung noch sehr viel mehr gesagt. So führte sie allerlei Bedingungen auf. Ihr Argumentationsstrang ging etwa so: „Wenn der Verfassungsschutz unwiderlegbare Beweise vorlegt, dass die AfD Ziele verfolgt, die unserer Verfassung zuwider laufen, wenn klar belegt ist, dass beispielsweise Grundrechte durch sie eingeschränkt werden sollen, dann ist das genau der Fall, für den unser Grundgesetz die Möglichkeiten eines Parteiverbots liefert. Dafür sind sehr bewusst sehr hohe Hürden angesetzt. Wenn aber augenscheinlich ist, dass all diese Hürden genommen werden, dann muss ein Verbotsverfahren in Gang gesetzt werden. Und wenn dann in diesem nach rechtsstaatlichen Verfahren belegt wird, dass die Partei eben politische Ziele verfolgt, die gegen das Grundgesetz verstoßen, dann muss sie verboten werden. Und DANN wäre ein AfD-Verbot ein starkes Zeichen für unsere wehrhafte Demokratie. Und zwar ganz egal, wie viele Menschen die Partei hinter sich hat“. Das sind jetzt meine Worte, nicht ihre, ich will hier nicht die Diskussion einer ganzen Sendung wiedergeben und habe es darum etwas paraphrasiert Aber so hört sich der ganze Bums doch schon sehr anders an, oder?! Bleibt natürlich der Satz „Aber damit ist natürlich nicht die Anhängerschaft beseitigt.“ Dieser Satz ist tatsächlich auch durch Konetxt nicht gedeckt. Was also machen wir damit? Nun, den hat sie ebenfalls bei Lanz jüngst nochmal aufgenommen und sich davon distanziert und dafür entschuldigt. Ihre Erklärung ist dabei durchaus ebenfalls nachvollziehbar: Sie ist eben kein Medienprofi und tritt nicht jede Woche in der Ausnahmesituation vor Millionen Menschen auf. Mit begrenzter Redezeit und so weiter. Dabei ist sie in der Formulierung etwas daneben gegangen. Normalerweise formuliert sie extrem ausgewogen und geschliffen, aus dem Stillen Kämmerlein hinaus. Was sie aber meinte, kann auch jeder noch so konservative Zeitgenosse (praktischerweise erübrigt sich mal wieder das Gendern recht weitgehend), sich mit wenigen Augenblicken nachdenken ebenfalls sofort erschließen: Klar bliebe nach einem erfolgreichen AfD-Verbot eine frustrierte Anhängerschaft, die sich so weit vom demokratischen Diskurs entfernt hat, dass sie (dann bestätigte) Verfassungsfeinde wählt und sich in weiten Teilen ein autoritäres Regime zurückwünscht. Diese Menschen würden bleiben und müssten überzeugt werden. Durch gute Politik, durch eine Sozialpolitik, die nicht Millionen außen vor lässt, durch politische Aufklärung und so weiter. Also im Kern auch Dinge, die total klar sind. Denn sonst wäre es eine Frage der Zeit, bis eine weitere Partei mit ähnlichen Parolen daher kommt und die Gewässer befischt. Am Ende geradezu eine Binse.
Die linke Kindermörderin
Kommen wir also zum nächsten Punkt: die linke Kindermörderin. BG hat sich vor einiger Zeit öffentlich geäußert, dass sie gemäß der Verfassung Anhaltspunkte sieht, dass sich definieren ließe, dass die Menschenwürde erst ab der Geburt einsetzt, was eine Abtreibung erleichtern würde. Die rechte, rechtskonsrvative und auch religiöse Bubble kriegte natürlich sofort Schnappatmung und sieht darin die Forderung, etwas übertrieben, auch noch bis zum 18. Geburtstag abzutreiben, wenn man mal nen schlechten Tag hat. Nein, natürlich nicht, aber halt bis zur Geburt. Es gibt ernsthaft Leute die sagen BG wolle bereits lebensfähige Föthen abtreiben. Weidel z.B. sprach explizit von Kindern im neunten Monat. Das ist natürlich totaler Schwachsinn und das BG hat das auch klar formuliert. Sie sprach EXPLIZIT von denselten Fristen, die heute schon gelten. Sie will faktisch gar nicht so viel ändern. Im täglichen Erleben würde sich am Ende gar nichts ändern. Nur am juristischen Rahmenwerk. Aber schauen wir uns das ganze mal an… Zunächst einmal: Wann hat sie das gesagt? Sie war Mitglied eines Expertengremiums, eingesetzt von der damaligen Bundesregierung. Darin sollte die verfassungsrechtliche Möglichkeit eines rechtskonformen (!!) Schwangerschaftsabbruchs eingeordnet werden. Nun ist die Grundsituation die folgende: §218 ist immer noch genauso gültig wie vor 80 Jahren. Nur ist er heute straffrei gesetzt. Dafür gibt es für Frauen gigantische Auflagen zur Abtreibung. Sie sind nicht Herr bzw. Frau über ihren eigenen Körper. Dritte (witzigerweise sehr oft Männer) müssen sie „beraten“ und dabei oft beeinflussen. Und nun sollte BG wie einige andere dafür eine Lösung finden. Das Problem: Wenn wir einem Embryo ab dem Moment der Nidation, also der Einnistung in der Gebärmutterschleimhat, Menschenwürde zugestehen, dann haben wir einen Fall, in dem Art. 1 GG gilt. Punkt. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dass dieser Mensch die Würde eines anderen Menschen, eben der Mutter, berührt, ihr Recht auf körperliche Selbstbesimmung, sogar ihr Recht auf Leben und physische Gesundheit, ist dann unerheblich. Am Ende ist es das klassische Trolley-Problem. Darf ich einen Menschen töten, um einen (oder beim Trolley-Problem mehrere) anderen zu retten? Die Verfassung sagt da eigentlich „nein“. Nun schlägt sie sozusagen einen Workaround vor: Indem wir einen anderen Zeitpunkt für die Erlangung der Menschenwürde vorschlagen, haben wir hier eine Lösung. Jetzt können wir eine sachliche Abwägung treffen. Natürlich heißt das nicht, dass wir einen Säugling am Tag vor der Geburt töten könnten. Die Fristen sind dadurch ja wie gesagt unbenommen. BG weist explizit darauf hin, dass das Recht auf Leben grundsätzlich weiter gilt. Faktisch könnte man natürlich auch sagen, dass die Menschenwürde mit Woche X beginnt, oder der Lebensfähigkeit des Embryos oder ähnliches. Da das aber vergleichsweise willkürlich ist, nimmt man eben die Geburt. Das hat halt den Vorteil, dass man der Mutter ein gewisses Recht auf Selbstbestimmung zugestehen kann. Sei es bei medizinischer Indikation, bei Vergewaltigung oder einfach in dem Moment, da sie sich für das Kind nicht bereit fühlt. Dafür gibt es dutzende möglicher Gründe. Und mal ehrlich: Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, ein ungewolltes Kind im Körper zu tragen. Ich kann mir aber vorstellen, dass es eine unfassbare Verzweiflung sein muss. Und viele Frauen sind bereit, da wilde Dinge zu machen. Mutterkorn und Quacksalber – auch hier gilt mal wieder: Eine komplette Ausweglosigkeit bringt nur Schaden hervor. Für die Mutter, für das Kind, für die Gesellschaft. Das ist Fakt. Frauen haben schon immer ihre eigene Gesundheit riskiert, um solche Kinder loszuwerden. Es braucht sichere und auch rechtssichere Wege. Und mal ehrlich: Aus dieser Diskussion sollten sich Männer schlicht raushalten. Wir haben dazu – in meinen Augen – schlicht und einfach nichts zu kamellen! Ich finde den Weg, den BG vorschlägt, vergleichsweise elegant. Und für mich ist auch völlig klar: Frauen sind selbstbestimmte Wesen, die eben ein Recht haben, über ihren eigenen Körper zu betimmen. Durch Verhütung, durch die Pille danach und auch durch eine Abtreibung bis Zeitpunkt X. Am Ende ist das für mich nur ein sehr marginaler Unterschied. Aber wie gesagt: Lasst das doch einfach die Frauen entscheiden. Fakt ist und bleibt aber, dass Frauke Brosius-Gersdorf hier keine Forderung gestellt hat, sondern schlicht eine Lösung eines ansonsten unlösbaren juristischen Dilemmas vorgeschlagen hat, die überhaupt erst alles andere ermöglicht. Rein aus verfassungsrechtlicher Sicht. Sie hierdurch zu einer linken Aktivistin zu machen ist schon… nun… gewagt! Faktisch würde sich für die Menschen nichts ändern, außer, dass Frauen juristisch anders – besser – gestellt würden. Achso und da ich jüngst dazu noch eine andere, mündliche, Diskussion hatte: Auch der Mann würde dadurch nicht schlechter gestellt. Natürlich wäre dabei immer noch ein gemeinsames Entscheiden machbar und möglich. Schon heute kann eine Frau, wenn sie partout kein Kind will, die Entscheidung zum Abbruch treffen. Egal, was der Mann sagt. Aus dutzenden Gründen. Es ist aufwendig und oft entwürdigend, aber es ist möglich. Der Mann könnte also genauso viel oder wenig dazu sagen, wie heute. Ich persönlich sehe aber in der Tat keinen gravierenden Unterschied, ob die Frau verhütet, obwohl ich mir ein Kind wünschen würde, ob sie am Tag nach dem Sex die Pille danach himmt und die Nidation einer befruchteten Eizelle verhindert, oder zwei Wochen später einen eingenisteten Embryo abtreibt. Und ich finde alles gleichermaßen OK. Wenn ich ein Kind will und sie nicht, dann ist sie halt notfalls die falsche Frau dafür. Das ist schwierig, traurig und frustrierend, aber ich habe nunmal kein Recht auf ein Kind mit ner Frau, die das nicht will. Aus wlechem Grund auch immer
Die grundrechtseinschränkende Impfpflicht
Kommen wir zum dritten ganz kontroversen Punkt: Impfpflicht. Im Jahr 2021 veröffentlichte sie gemeinsam mit ihrem Mann eine Stellungnahme zum Thema der Impfpflicht. Dabei haben die beiden rein juristisch betrachtet, ob eine Impfpflicht juristisch – verfassungsrechtlich – möglich wäre. Ihre Folgerung: „Eine allgemeine Impfpflicht gegen das Covid-19-Virus verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Man kann sogar darüber nachdenken, ob mittlerweile eine verfassungsrechtliche
Pflicht zur Einführung einer Impfpflicht besteht. Es ist Aufgabe des Staates, die große Mehr-
heit der Bevölkerung, die freiwillig geimpft ist, wirksam davor zu schützen, dass ihre Ge-
sundheit, ihre persönliche Freiheit sowie ihre berufliche und wirtschaftliche Existenz weiter-
hin von Ungeimpften bedroht wird. Vor allem ist es Aufgabe des Staates, diesen Gefahren
nachhaltig zu begegnen und die Pandemie wirksam zu bewältigen.“ Wieder kriegt eine bestimmte Bubble Schnappatmung: „Sie will uns alle zwangsimpfen!!!111!!!einself“ Das ist natürlich Unsinn. Zunächst einmal muss man den Zeitpunkt betrachten. Es war eine juristische Einschätzung aus dem Jahr 2021. Wer sich zurückerinnert: Vieles war damals noch nicht klar. Drei Viertel der Menschen im Land waren zu dieser Zeit für eine Impfpflicht. Die allermeisten sehnten sich die eigene Impfung herbei. Die Menschen kannten die Vor- und Nachteile, die den Impfstoffen nachgesagt wurden, besser als die Hobbys der eigenen Kinder. Biontech, Astrazeneca, Novavax, das waren Namen, mit denen jeder etwas anfangen konnte. Aber es gab eben auch Leute, die die Impfung kathegorisch ablehnten. Mit teils absurden Argumenten. Wir erinnern uns an „Corona-Demos“ mit Menschen, die Gardinen mit Zentimetergroßen Löchern als „Maske“ vor das Gesicht gehängt hatten. Und so weiter. BG wollte dem eine juristische Einschätzung gegenüberstellen und hat eben eine differenzierte Aussage getroffen, unter welchen Voraussetzungen sie das Ganze wie einschätzt. Und das vor dem Stand des Wissens der Zeit hinsichtlich der Art und Gefährlichkeit des Virus’, die Wirkung der Impfungen und so weiter. Dass wir heute manches im Rückblick anders, auch sehr viel entspannter, ansehen ist da komplett irrelevant. Sie hat Rechtsgüter so objektiv wie im Kontext möglich gegeneinander abgewogen. Und heraus kam am Ende, dass die Freiheit Vieler (durch aufgehobene Beschränkung) schwerer wiegt, als die Freiheit einiger, die nicht impfen wollen. (Zumindest so weit ich ihre juristische Argumentation verstanden habe.) Das muss man nicht stützen, nicht gut finden, aber es ist eine juristische Analyse. Nicht mehr, nicht weniger.
Es kann nicht sein, was nicht sein darf
Nun lassen sich die ganzen Argumente der Rechtspopulisten von Nius und Co. wie dargelegt recht leicht widerlegen. Das aber akzeptieren die natürlich nicht. Und die von ihnen aufgestachelten Kräfte bis tief in eine Union, die in Personae Spahn, Linnemann, *insert random CSU-name here* oder Merz himself längst ebenfalls eine Erregungskurve erreicht haben wie sie sonst nur beim Christopher-Street-Day erreichen, sind längst ebensoweit, dass sie Blut sehen wollen. Also nehmen sie sich mal ihre Doktorarbeit vor und vergleichen sie KI-gestützt mit jedem Werk seit dem Gilgamesch-Epos. Dumm: BG hat sehr sauber gearbeitet und ihre Quellen immer angegeben. Aber ein – recht komplexer – Satz fällt doch auf. Die Habilitation ihres Mannes enthält ihn auch. Sofort wird über alle Kanäle „Foul!“ geschriehen. BG ist eine Schwindlerin, sie hat abgeschrieben. Plagiaaaaaat. Nun lassen wir mal raus, dass es dafür durchaus gute Gründe geben kann. Wohl jeder Mensch in einer Beziehung, der mal erlebt hat, dass der Partner oder die Partnerin eine solche Arbeit schreibt, wird es mal erlebt haben: Man liest gegen und man untrstützt sich gegenseitig. Insbesondere natürlich, wenn man im selben Fachgebiet unterwegs ist. Formal ist das natürlich nich trichtig, aber ich fürchte, würde man das grundsätzlich unterbinden, man hätte weltweit nur noch ein halbes Dutzend gültiger Promotionen, Habilitationen, Master- und Diplomarbeiten. Ein „Du, mir fälllt grad das passende Wort nicht ein, sag mal eben…“ hat wohl so ziemlich jeder und jede schonmal erlebt. Und ich kann sagen, wie es bei uns läuft: Freundin: „Sag mal ein anderes Wort für XXX“. Ich „Du weißt, so funktioniert mein Hirn nicht. Gib mir einenen Satz, einen Kotext.“ Oft ist es dann bei ihr ein „Ach egal“, aber manchmal gibt es einen Satz und dann von mir einen Satz zurück. Und da der Satz dann derselben Denkstruktur entspringt, wie meine anderen Arbeiten auch, ist durchaus möglich, dass genau diese Formulierung mal in nem Buch, nem Zeitungsartikel, Blog oder Posting vorgekommen ist. Insbesondere natürlich, wenn es thematisch gleiche Sachverhalte sind. Und ja, bei komplexen Formulierungen ist das sogar wahrscheinlicher. Und zwar ohne, dass es mir (oder ihr) bewusst ist. Das ist das eine. Formal ist es also ein Plagiat, faktisch ist es aber die normale Genese so ziemlich jeder Arbeit dieser Art ohne, dass es einem von beiden bewusst ist. Selbst WENN es also bewiesen würde, wäre ich sehr geneigt zu sagen „Leute, ernsthaft? Weckt mich, wenn es drei Seiten sind“. Aber hier ist es ja noch krasser, denn Frauke Brosius-Gersdorf hat ihre Doktorarbeit ganze DREI Jahre vor der Habilitation ihres Mannes abgegeben. Wenn überhaupt hätte also er plagiiert. Und selbst das würde ich mit der oben dargelegten Argumentation durchaus bestreiten. Sie selbst hat sich aber nachweislich nichts zu Schulden kommen lassen. Und das dann überhaupt gegen sie gerichtet zu veröffentlichen grenzt schon an Rufmord.
Die politische Komponente
Nun haben wir also eine potenzielle Verfassungsrichterin, die so gut durchleuchtet ist, wie wohl nie eine Kandidatin oder ein Kandidat zurvor in der deutschen Geschichte. Und herausgekommen ist schlicht nichts. Keine Agenda, keine politische Aktivität, es ist nichtmal ein Foto gefunden worden, wie sie mit 20 an ihrer Uni an ner Demo teilnimmt mit nem Schild „nieder mit dem Kapital“ oder so. Nichts. Sie hat sich öffentlich immer nur rein wissenschaftlich geäußert und ihre Lesart des Grundgesetzes differenziert und wohlformuliert – mit Ausnahme eines einzigen Satzes in einer Talkshow, also einer Extremsituation – dargelegt. Vermutlich hat so ziemlich jede/r andere RichterIn jemals am Verfassungsgericht mehr politische Äußerungen auf nem sozialen Netzwerk, in einer kleinen öffentlichen Rede, einer Urteilsbegründung oder einen Social-Media-Post getätigt. Nur waren es vermutlich wie bei den allermeisten Juristen dann eher rechtskonservative Law-and-order-Positionen. Brosius-Gersdorf hat sich also durch ihre Positionen nicht nur bemerkenswert offen und undogmatisch gezeigt, sondern auch äußerst kontrolliert und differenziert. Jede ihrer kritiserten Äußerungen war zumindest zum Zeitpunkt, da sie getätigt wurden, absolut mehrheitsfähig. Meist in Bereichen einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Bevölkerung nach Umfragen. Etwas, das per Definition ausschließt, dass sie extremistisch sein könnten. Und zwar in ihrer gesamten differenzierten Form. Sie ist Opfer einer in dieser Form einmaligen Schmutzkampagne und dass die Union sie auch jetzt noch als „beschädigt“ darstellt und sich weigert, sie zu wählen, ist ein beispielloser Kniefall vor den ganzen Neurechten, den AfDAnhängerInnen, Werteunions- und Maaßen-Spinnern, Nius- und Bild-KonsumentInnen. Es ist ein Vorgang, der die Zerrüttung unserer politischen Landschaft dokumentiert wie wenige andere. Es ist – in meinen Augen – schlicht beängstigend. Und ich hoffe sehr, dass die SPD und BG hart und stabil bleiben und sich nicht zermürben lassen. Und dass sie am Ende doch gewählt wird. Auch, weil sie eine messerschafte Analytikern ist und in meinen Augen sehr, sehr gut für unser Land. So ein bisschen wie eine deutsche Ruth Bader Ginsburg. Ich sehe sie ganz im Gegenzeil zum hyperventilierenden Polit-Mob als geradezu schockierend undogmatisch und offen. Und genau das ist, was wir derzeit dringend brauchen.