Eigentlich ist mir grad nicht wirklich danach, mich mit Politik und Co. Zu befassen. Wer mich etwas näher kennt, weiß fraglos wieso. Aber unter dem Strich geht die Welt immer weiter. Und tatsächlich gibt es grad wieder etwas, das mich ziemlich verzweifeln lässt. Was ist passiert? In Bayern schneit(e) es ziemlich krass. Soziale Medien laufen in der Folge über mit „sie haben doch gesagt, wir würden nie wieder Schnee sehen. Klimawandel ist ne Lüge“. Oder Alice Weidel schreibt auf Twitter (oder X, mir egal) „Hat es an Heiligabend 10° Celsius: „#Klimawandel„. Ist es im Winter kalt: „Klimawandel“. Ist es im Sommer heiß: „Klimawandel“. Ganz normale jahreszeitliche Wetterphänomene werden medial dazu missbraucht, Menschen Angst zu machen und nicht nur die Klimaideologie weiter…“ Und diese Argumentation verfängt. 8.300 Likes und 1500 Retweets in 24 Stunden sprechen ne deutliche Sprache. Und die darin transportierte Logik, das muss man zugeben, verfängt ja auf den ersten Blick. Wie genau sollte denn eine Wettersituation genau sein, dass sie dem Klimawandel widerspricht?
Lernt zu unterscheiden: Wetter ist nicht Klima!
Die Antwort darauf ist so einfach wie enttäuschend: Gar nicht. Es gibt kein Wetter, kein Ereignis, das dem Klimawandel widerspricht. Auch keins, das ihn singulär bestätigt. Wetter kann Klima nicht bestätigen oder widerlegen. Wir alle kennen mehr oder minder gut die Normalverteilung. Es ist eine Kurve, die aussieht wie eine Glocke. Praktisch alles auf der Welt ist normalverteilt. Das beginnt bei der Größe von Menschen, bei der Intelligenz, bei Produktionsprozessen und resultierenden Fehlern, bei biologischen Prozessen oder eben dem Wetter. Wir haben eine Erwartung eines Wetters. Die Statistik über 30 Jahre, das ist die Definition, sagt uns: An Ort X wird zu Zeitpunkt Y die Temperatur Z herrschen. Mit einer einer Wahrscheinlichkeit von XY Prozent. Und dieser Prozentsatz hängt eben von rein statistischen Verfahren ab. Dafür gibt es die sogenannten Standardabweichungen. Eine Standardabweichung entspricht dann dem Gros der Einzelereignisse. Das heißt: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Wetter in diesem Korridor abspielt, liegt bei rund zwei Drittel. Und zwar für alle Faktoren: Temperatur, Niederschlag, Luftdruck, was weiß ich. Die genauen Werte dessen sind ein Ergebnis einer statistischen Betrachtung. Das sind relativ komplexe Berechnungen. Also sagen wir: An einem Tag ist die Mitte der Kurve zehn Grad Höchsttemperatur. Dann könnte eine Standardabweichung fünf Grad betragen. Das heißt: Mit einer Wahrscheinlichkeit von rund zwei Dritteln, liegt die Temperatur zwischen fünf und 15 Grad. Die zweite Standardabweichung deckt dann rund 96 Prozent ab und hat dieselbe Breite. Heißt: Mit etwa 96 Prozentiger Wahrscheinlichkeit liegt die Temperatur an dem Tag zwischen null und 20 Grad. Und so geht es weiter. (Für alle Statistiker: Das ist jetzt vereinfacht, es geht um das Prinzip, nicht um konkrete Werte oder so). Der Punkt ist: die Kurve endet nicht. Die dritte Standardabweichung deckt dann schon 99,8 Prozent der Fälle ab (also zwischen -5 und 25 Grad). Danach wird es immer, immer unwahrscheinlicher, aber auch 45 Grad sind nicht ausgeschlossen. Sie haben dann vielleicht ne Wahrschenlichkeit von… keine Ahnung… 10^-25 Prozent oder so. Aber sie sind rechnerisch möglich und widersprechen nicht der Statistik. Das ist so ähnlich wie: In den vergangenen 200 Jahren sind Menschen in Europa immer größer geworden. Vor allem durch bessere Versorgungslage. Das ist ein statistischer Wert, überprüft durch Millionen Messungen. Wenn jetzt ein einziger Mensch, zum Beispiel durch einen Gendefekt, kleinwüchsig ist und nur 1,20 Meter groß, dann widerspricht das nicht der generellen Beobachtung. Es ist ein statistischer Ausreißer. Genauso ist es hier. Der Tag an dem in den 50er Jahren der Asphalt (angeblich) geschmolzen ist, widerlegt die Sache also auch nicht. Das nennt man „anekdotische Evidenz“ und die belegt leider sehr wenig. Es ist ein Datenpunkt von zigtausend und hat leider eine sehr geringe Relevanz. Man könnte ketzerisch sagen: Weidel und Co. Nutzen die Argumentation in anderen Dingen ja selbst. Denn Flüchtlinge sind ja schließlich Schmarotzer. Und wenn jetzt einer gut integriert ist, einen tollen Job hat, gut ausgebildet ist und viel zum Steueraufkommen beiträgt, dann ist das für sie ja auch keine Widerlegung ihrer These, sondern nur ein Ausreißer, der halt keine Relevanz hat, gelle?!
Es wird noch krasser: Klimawandel ist global
Das ist der Punkt: Wir reden von Wahrscheinlichkeiten. Wetter und Klima hängen zusammen. Aber nur sehr mittelbar. Und es wird noch krasser, für viele Menschen noch unintuitiver, denn der Klimawandel – eigentlich reden wir heute von der Klimakatastrophe – ist auch kein lokales Phänomen. Es ist global. Wir haben Daten von Tausenden Stationen auf der ganzen Welt. Über Jahrzehnte. Und die belegen: Auf der ganzen Welt wird es in immer höherem Tempo statistisch immer Wärmer. Wohlgemerkt: mit der besagten Varianz. Es kann aber, und hier wird es endgültig unintuitiv, auch dazu kommen, dass diese ganze Sache dazu führt, dass es an bestimmten Orten kühler wird. Ein gutes Beispiel wäre die folgende Vermutung: Wir alle haben in der Schule gelernt, dass Europa sehr viel wärmer ist, als andere Gegenden auf der selben Höhe. Berlin liegt fast auf demselben Breitengrad wie Prince Albert, Saskatchewan in Kanada. Nur ist es dort im Winter statistisch zwischen Dezember und Februar -20 Grad und kälter. In Berlin eher Richtung 0 Grad. Der Grund dafür ist vor allem (neben anderen Effekten wie einem generell eher ozeanischen Klima) der Golfstrom. Nun funktioniert der folgendermaßen: Wasser wird in im Golf von Mexiko erwärmt. Es strömt dann nach Norden, entlang der US-Küste und nach Europa bis ins Nordmeer. Auf dem ganzen Weg gibt es Wärme ab. Dort, in der Arktis, trifft es auf die Eismassen derselben, kühlt stark ab und wird damit schwerer. Es sinkt in die Tiefe und fließt dort, vereinfacht gesprochen, am Meeresgrund wieder zurück. Dieses Förderband fördert mehr Wasser als alle Flüsse der Erde zusammen und eine Energiemenge, die rund zwei Millionen großen Atomkraftwerken entspricht. Nun gibt es aber die Theorie, dass das Schmelzwasser der Gletscher dieses Wasser derart verdünnt und damit leichter macht (Salzwasser ist schwerer als Süßwasser), dass es nicht so schnell oder gar nicht absinkt. Oder das fehlende Eis sorgt dafür, dass es nicht mehr so stark abkühlt. Dann kann nichts nachfließen und das Förderband kommt zur Ruhe. Das Ergebnis: Europa würde kühler. Damit würde aber nicht der Klimawandel an sich negiert, denn es wäre ein lokales Phänomen. Die Wärme würde nicht mehr an einen anderen Ort übertragen, die Golfregion der Karibik würde dadurch viel heißer, denn die zwei Millionen AKW würden ja dort weiter ballern und Wärme ausstoßen. So in etwa. Es ist etwa so, als würde ich ein Heizungsrohr durchschlagen. Dann wird die Wohnung kühler, auch wenn die Heizung noch so ballert. Nur wird die Wärme halt direkt dort frei. Der Heizungskeller hat dann vielleicht 70 Grad. Und es gibt auch Wettersysteme, die so etwas bewirken können. Zum Beispiel, wenn das bekannte Azorenhoch sich nicht mehr bildet oder stärker wird oder sich sogar verschiebt. Das kann passieren. Es gibt Wetterlagen, bei denen es auf Grönland wärmer ist, als in der Sahara. Sie sind sehr selten, aber sie existieren. Dann schneit es in der Sahara und es sind 20 oder mehr Grad auf Grönland. Das ist ein verdammt schlechtes Zeichen für die Klimasysteme. Und der Schnee in der Sahara ist eben KEIN Beleg gegen den Klimawandel.
Mehr Wärme, mehr Verdunstung, mehr Niederschlag – nur nicht überall
Ähnlich ist es mit dem Niederschlag. Generell bedeuten höhere Temperaturen auch mehr Verdunstung und damit mehr Niederschlag. Nur halt nicht unbedingt dort, wo er gebraucht wird. Und durch mehr Energie in der Atmosphäre bilden sich mehr Extremereignisse wie Stürme. Die bringen aber meist keinen seichten Dauerregen, sondern eher wenig Regen (oder Schnee) in kurzer Zeit. Der kann dann nicht versickern, sondern fließt ab. Das Ergebnis sind Dinge wie das Ahrtal. Oder eben ein Bayern, das im Schnee absäuft. Solche Extremwetterereignisse nehmen zu. Das zeigen alle Daten. Aber man muss dafür halt die Entwicklung über einen langen Zeitraum betrachten – mindestens 30 Jahre und eben an vielen unterschiedlichen Orten. Da spielt es überhaupt keine Rolle, wie es an einem bestimmten Tag an einem bestimmten Ort war oder ist. Noch extremer ist das mit der Erinnerung. Die ist nicht objektiv. Temperatur wird subjektiv empfunden. Und dieses Empfinden verändert sich mit den Jahren. Wenn ich also erinnere, dass in meiner Kindheit in den 50ern alles so heiß war dass ich kaum laufen konnte, dann kann das durchaus eine Temperatur von 30 Grad gewesen sein, die ich heute als angenehm empfinde. Oder umgekehrt. Dass damals vielleicht der Asphalt schmolz kann auch daran liegen, dass es damals ganz anderer Asphalt war als heute, der weit weniger Temperaturstabil war. Es gab keine Klimaanlagen, Häuser waren weit weniger gedämmt. Die Wahrnehmung von Temperatur kann also extrem anders gewesen sein. Und selbst wenn ist es eben der eine Datenpunkt unter Tausenden. Anekdotische Evidenz besagt also praktisch nichts. Außerdem erinnert man sich fast immer an besondere Ereignisse. Aber nicht an den statistisch viel relevanteren Normaltag. Mal ein Beispiel: Viele Leute erinnern sich, dass es im Juni und Juli 2006, während der WM, extrem heiß war. Aber wie war der Mai? Wie war der September? Wer weiß es noch? Und noch extremer: Ich erinnere mich aus meiner Kindheit an einen sehr warmen und langen Sommer 1983. Aber wer weiß, ob der August 1987 besonders warm, kalt, trocken oder regnerisch war? Nicht nachgucken, einfach versuchen, sich zu erinnern. Oder der Mai 1990. Oder für die älteren: Der Februar 1975. Oder, oder. Erinnern tun wir es eigentlich nur, wenn es mit einem besonderen Ereignis verbunden war. Zum Beispiel einer Heirat im Winter 75 oder so. Aber wie sieht es dann mit dem März 75 aus? Oder dem August? Man versteht, denke ich, das Prinzip. Also: Lassen wir bitte diese anekdotische Evidenz raus oder verbuchen sie als das, was sie ist: Eine höchst subjektive, überdies lokal geprägte und durch persönliche Erlebnisse gefärbte Petitesse.
Wie kann man Frau Weidel helfen?
Nun bleibt die Frage von Frau Weidel: Wie könnten wir denn, wenn er nicht existent wäre, den Klimawandel widerlegen? Wir haben festgestellt: Kein Wetter zu keinem Zeitpunkt an keinem Ort der Welt kann das. Denn es ist immer nur ein Datenpunkt, der statistisch normalverteilt ist. Wir können also nur sagen: Jo, das Wetter ist das neue normal, es ist statistisch heute besonders wahrscheinlich. Oder eben: Okay, dieses Wetter war heute eher weniger zu erwarten. Nicht mehr, nicht weniger. Es gibt auch nicht den Ort, der sinnbildlich für das Klima ist. Wir müssen ihr – und allen anderen Menschen, also die Mühe aufbürden, Tausende Datenpunkte über mindestens 30 Jahre auswerten. Und wenn wir eine Tendenz daraus ableiten wollen, sogar noch über einen noch längeren Zeitraum. So lang wie irgendwie möglich. Man könnte vielleicht eine gewisse Näherung erzielen, wenn es das vierte Jahr in Folge in ganz Deutschland besonders kalt war, wenn über Monate Schnee lag, Jahre in Folge und gleichzeitig in diesem Zeitraum woanders keine Temperaturrekorde aufgestellt wurden. Genauso, wie ich, wenn ich analysieren will, ob Menschen größer werden, nicht einfach die 6 b der Alice-Weidelschule in Irgendwasdorf messen kann. Ich muss Menschen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen in ganz Deutschland messen. Und das über Jahrzehnte. Sonst weiß ich eben nur: Die 6 b ist im Schnitt nen Meter Fuffzig groß oder so.
Die Gründe sind dann noch komplexer
Und dann wissen wir eigentlich auch nur DASS etwas passiert. Warum? Das ist dann die nächste relevante Frage. Erstens: Die Klimakatastrophe ist nicht monokausal. Sprich: Sie hat mehrere Gründe. Vor allem sind das Emissionen von Kohlendioxyd, Methan und ähnlichen Treibhausgasen. Das lässt sich einfach nachweisen und extrapolieren. Dafür sei die Sendung von Hoimar von Dittfurth aus 1978 empfohlen. Die zeigt sehr gut: Erstens ist es schon sehr lange bekannt und zweitens lassen sich die Effekte im sehr kleinen Raum zeigen und dann für das Funktionsprinzip mit einem einfachen Dreisatz hochrechnen. Aber auch andere Dinge spielen eine große Rolle. Ja, wir müssen schauen, ob die Sonne aktiver ist (haben wir, ist sie nicht. Gruß an Frau v. Storch an dieser Stelle). Wir müssen schauen, ob es mehr vulkanische Aktivität gibt (haben wir, ist nicht). Auch ob sich die Bahn der Erde verändert hat. (Haben wir, hat sie nicht.) Wir müssen sehen, wie sich Entwaldung auswirkt. Wir müssen sehen, wie sich der sogenannte Albedo-Effekt auswirkt. (Eis und Schnee reflektieren die Sonne und kühlen damit. So, als würde man über einen schwarzen Tisch in der prallen Sonne ein weißes Tuch legen. Er wird sehr viel kühler). Wenn also große Schneefelder verschwinden, sorgt das für Erwärmung. Einer der berühmten „Kipppunkte“. Und wir müssen viele andere Dinge untersuchen. Und der Witz ist: Das kann kein Mensch leisten. Es kann nur eine große Gruppe Menschen gemeinsam schaffen. An vielen unterschiedlichen Orten, mit vielen Daten. Und ob Alice Weidel oder Jupp Schmitz das dann verstehen und nachvollziehen können, ist total irrelevant. Man kann natürlich Veröffentlichungen lesen und nach Fehlern suchen. Aber es sollten eben vor allem methodische Fehler sein. Nicht Daten, die einem nicht passen. Und klar ist: Das gilt für alle Seiten! Bitte, bitte lasst und mit dieser Polemik aufhören. Frau Weidel, was bringt es, solche Beiträge zu schreiben? Glauben Sie das wirklich, oder sind sie so ruchlos, die Zukunft der gesamten Menschheit aufs Spiel zu setzen, um in der nächsten Wahl gut dazustehen? Wofür genau machen Sie denn Politik? Ich bin überzeugt, dass Menschen nicht aufstehen mit dem Gedanken „Ha! Heute fick ich die Welt“. Und ich bin sicher, irgendwie gilt das auch für Sie. Auch Sie streben doch vermutlich irgendein „ich will die Welt besser machen“ an. Halt nach Ihren Sichtweisen. Ich tue mich schwer damit, diese nachzuvollziehen, das gebe ich zu. Aber zumindest die Tatsache, dass Klima und Wetter nicht das gleiche sind, sollten auch Sie doch verstanden haben. Es ist wie der Zusammenhang zwischen Position und Geschwindigkeit. Wenn ich ein Foto von Ihnen sehe, wie Sie einen Meter über dem Boden sind, sagt das wenig aus. Es kann sein, dass Sie gerade springen, die Geschwindigkeit Null haben und sicher wieder landen – oder Sie sind aus 100 Metern Höhe gefallen und sind eine halbe Sekunde später unförmig wie ne Pizza. Nur mehrere andere Bilder mit diesem Zusammen können mir das sagen, denn Geschwindigkeit ist, physikalisch gesprochen, die erste Ableitung des Weges nach der Zeit. Heißt so viel wie: Ich brauche sowohl mehrere Datenpunkte in Ort wie Zeit, um das zu entscheiden. Wenn ich nun entscheiden will, ob ich es laufen lasse oder, um Sie zu retten, in den nächsten 0,2 Millisekunden ein Luftkissen aufblasen müsste (theoretisch), sollte ich mir die Daten doch mal in der Folge ansehen. Oder ich sage natürlich: Jo, sie fällt, aber die Pizza-Nummer ist gar nicht so schlecht. Ich denke, zu dieser Lösung werden bei einer kontroversen Person wie Ihnen durchaus Menschen kommen. Aber beim Klima? Da werden nicht all zu viele mögliche bessere Welten raus kommen. Also bitte: Schauen Sie doch mal die richtigen Daten an und nicht nur einzelne Punkte. Sie beeinflussen Millionen Menschen mit Ihren Aussagen. Und ich weiß nicht, was Sie vielleicht in 40 Jahren denken, sollten Sie dann noch leben. Könnte durchaus sein, dass Sie sich dann wünschen, auf der anderen Seite einer solchen Nummer gestanden zu haben…