„Woke“ – einer der dümmsten Kampfbegriffe der Geschichte

In Deutschland steht die Bundestagswahl an, in den U(?)SA der Präsidentschaftswechsel. Und wir erleben immer mehr, wie sich Rechte, Rechtspopulisten, teilweise auch selbsternannte Rechtskonservative und ähnliche Figuren aus der Deckung wagen. Und was auffällt: Immer mehr „wehrt“ man sich gegen eine angebliche Meinungsdiktatur. Man beklagt, dass Andere ihnen die eigene Meinung aufdrücken würden und da natürlich auch die Realität nicht mit der eigenen Empfindung kollidieren sollte, werden Faktenchecks immer mehr negiert und abgelehnt. Trump hat ein TV-Duell mit Live-Faktencheck verweigert. Twitter hat nach der Übernahme durch Musk den Faktencheck im Sinne einer angeblichen Meinungsfreiheit abgeschafft und auch Facebook folgt jetzt. Bei Zuckerberg ist es – meiner Beobachtung/Empfindung nach – zwar eher Gier als politisches Interesse (Faktencheck zu gewährleisten ist aufwendig und kostet Geld), aber ob es das besser macht? Wie auch immer, das Ergebnis ist gleich. Und bei allem schwingt mehr oder minder deutlich immer ein Begriff mit, der immer mehr zum Kampfbegriff verkommt: „woke“.

Begriffsdefinition: Was ist woke?

Nun schauen wir uns erstmal an, was „woke“ denn ist oder bedeutet. Historisch ist er schon in den 1930er Jahren in den ganz frühen Anfängen der US-Bürgerrechtsbewegung entstanden und es ging vor allem darum, sich die sozialen und sonstigen Probleme durch rassistische Benachteiligung bewusst zu machen und eben ihnen gegenüber „wach“ zu sein. In den Black-Lives-Matter protesten wurde er dann wieder ausgegraben und als Bedürfnis nach politischer Wachsamkeit gegen Diskriminierung, Rassismus oder Sexismus ausgeweitet. Seitdem hat der Begriff im vergangenen Jahrzehnt Karriere gemacht und wird heute etwas ausgeweitet auf alles, was man vielleicht als historisch linke Positionen subsumieren könnte. Also auch den Gedanken an Natur- und Klimaschutz, Tierschutz oder, besonders, LGBTQ+-Rechte. „Woke“, das geht heute von der Ehe für Alle und „My-body-my-choice“-Bewegung (also Abtreibungsdiskussionen) über Vegetarismus-Veganismus bis hin zu gendergerechter Sprache. Und natürlich auch weiterhin Minderheitenrechte, Rassismus etc. Kurz gesagt: „Woke“ bedeutet im Prinzip nicht mehr und nicht weniger als „Rücksicht nehmen“ und sich bewusst sein, dass andere Menschen eben auch Gefühle und Bedürfnisse haben, die sich vielleicht nicht mit meinen decken, die aber eben legitim sind. Und eben durchaus auch, dass zukünftige Generationen Rechte haben etc. Wenn man es ganz platt sagen will: „Woke“ bedeutet in letzter Konsequenz eine Umsetzung des Grundgesetzes vor allem in der Art, wie es gemeint ist: Alle Menschen haben gleiche Rechte und alle Menschen haben das Recht zur Selbstentfaltung. Gleiches gilt für zukünftige Generationen und damit am Ende die Biosphäre und möglicherweise auch andere Lebewesen.

Woke“ ist nicht egoistisch bis sogar altruistisch

Damit bedeutet das Wort bzw. die Bewegung am Ende, dass man sich eben selbst ein Stück weit zurück nimmt, um anderen Lebewesen (wenn wir es jetzt mal ganz weit spannen) eben ein lebenswertes oder erfüllendes Leben zu geben. Damit steht es am Ende für ein sehr viel fortschrittlicheres Gesellschaftsbild, als die klassisch konservativen Positionen. Das interessante ist: Diejenigen, die es mit am meisten ablehnen, sind evangelikale und andere radikal-gläubige auch im Islam oder auch Judentum. Dabei muss man am Ende feststellen: Im Judentum mag das noch den Aussagen der Schriften entsprechen, weil es dort am Ende keine Revision des Alttestamentarischen gibt. Im Islam gibt es durchaus Interpretationen, die in früheren Zeiten durchaus gelebt wurden und am Ende ein klassisch-rheinisches „jede Jeck is anners“ zumindest zuließen. Im Christentum besagt das neue Testament (und DAS sollte ja für einen Anhänger Jesu das entscheidende sein!) als Revision des Glaubens an dutzenden Stellen genau so etwas: Liebe Deinen Nächsten, Vergib, Hilf, nimm Rücksicht etc. pp. Jesus, so es ihn gab, wäre also wohl eine der „wokesten“ Personen auf der Welt überhaupt gewesen. Denn wir wollen nicht vergessen: Er hat diese Positionen in einer Welt aus Sklaverei, Gewalt und Überlebenskampf vor 2000 Jahren gepredigt. Heute wäre da wohl so einiges mehr möglich. Wie dem auch sei: Gläubige sollten tendenziell eher Anhänger als Gegner sein, wenn sie ihren Glauben ernst nähmen.

Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit

Insofern ist die „anti-woke-Bubble“ in weiten Teilen schon sehr grenzwertig bigott. Viel wichtiger finde ich persönlich aber etwas anderes: Im absoluten Übermaß ist „woke“ in der realen Umsetzen eher eine Art freiwillige Selbstbeschränkung. Man ist natürlich bestrebt, auch politisch soziale und sonstige Ungleichheit so weit möglich abzubauen, vor allem geht es aber darum, dass Personen darauf achten, selbst z.B. mit ihrer Sprache so rücksichtsvoll umzugehen, dass sie Menschen anderer Hautfarbe, sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität und so weiter nicht unnötig verletzen. Klar, wie gesagt, auch auf der größeren Skala wird es angestrebt, aber eher durch Überzeugung, denn durch Sanktionen. Anderen wird das in erster Linie vorgelebt. Beispiel Gendern: Ja, es wird gesellschaftlich diskutiert. Und ja, es gibt auch viele Urban Legends. Aber ich habe noch keinen Fall gefunden, in dem jemand, der/die z.B. nicht gendern wollte irgendwelche Nachteile erlebt hat. Weil ICH kein Fleisch esse und so weit sinnvoll möglich gänzlich auf tierische Produkte verzichte, hat niemand einen Nachteil. Im Gegenteil: Wenn überhaupt ess ich dem Fleischesser nicht weg, was er möchte. Weil ich mich bemühe, Vokabeln zu vermeiden, die andere Menschen beleidigen könnten, hat niemand einen Nachteil. Weil ich gendere wird niemand einen Nachteil erleiden. Wenn zwei Homosexuelle heiraten, hat der Nachbar keinerlei Nachteil. Weil eine Person ihr Geschlecht ändert, ändert sich für ihn ebenso wenig. Weil ich einem Menschen mit anderer Hautfarbe oder sonstiger Ethnie keine Nachteile angedeihen lasse, hat dadurch ja kein „alter weißer Mann“ einen Nachteil. Naja, außer vielleicht den, angestammte VORTEILE weniger zu haben. Vielleicht bekommt er dann einen Job nicht, den er bei gleicher Situation vor 40 oder 50 Jahren safe bekommen hätte. Aber am Ende ist es halt nur fair. Und nur weil ich versuche, das Klima so weit möglich zu schonen, damit mein Sohn und seine Generation und seine Kindergeneration noch eine lebenswerte Welt vorfinden, hat besagter Nachbar ja auch keinen unmittelbaren Nachteil. Im Gegenteil, am Ende bliebe ja für ihn sogar eher MEHR CO2-Budget übrig. Was ich sagen will: Im Normalfall bedeutet „woke“ eben keinen Nachteil für Menschen, die „nicht woke“ sind. Der einzige Nachteil ist die Beobachtung, dass man vielleicht selbst kein so guter Mensch ist, wie man gern wäre. Sicher, es wirkt sich natürlich insofern aus, dass man Menschen ihr Verhalten spiegelt. Wenn jemand als rücksichtslos agiert, egoistisch, schädlich, dann lässt man ihm seine Meinung, seine Aussagen, ragiert aber mit einem mehr oder minder verklausulierten und von Achselzucken begleiteten „dann bist Du halt ein Arschloch“. Das ist aber letztlich genau das, was sie fordern: Sie dürfen frei reden, müssen aber eben auch riskieren, dass der Gegner auch frei seine Meinung äußert. Es wird nichts unterdrückt, es ist eben nur eine REAKTION auf die eigene Meinung IN FORM einer MEINUNG. Wichtig: Umgekehrt ist das ganz anders, denn während sich das meiste „woke“ überwiegend bis ganz auf einen selbst oder eben Äußerungen bezieht, ist „anti-woke“ vor allem nach Außen gerichtet. Denn wenn ich keine Rücksicht auf andere nehme, dann unterdrücke ich sie oder schade ihnen. Ich werte Menschen ab, ich nehme ihnen Rechte, Jobs, vielleicht Wahlrecht, Entfaltungsmöglichkeit. Die Möglichkeit sie selbst zu sein, zu gesellschaftlicher Teilhabe, ihre Liebe oder ihr Wesen offen zu leben oder ich quäle Tiere oder begünstige es zumindest durch mein Konsumverhalten. Und natürlich müssen folgende Generationen für meinen Lebensstil hinsichtlich Klima leiden. Zusammenfassend: Woke schränkt andere nicht oder nur sehr gering ein. Anti-Woke tut es stark bis sehr stark.

Narrativ ist umgekehrt

Doch das Narrativ ist natürlich ganz anders. In der Welt der Trumps, Musks und Weidels dieser Welt sind die nicht-woken, die Rechten, die Opfer. Sie dürfen ja NICHTS mehr sagen, NICHTS mehr tun. Ihnen werden ihre Autos weggenommen, sie dürfen kein Fleisch mehr essen, sie dürfen ihre Meinung nicht mehr sagen. Weidel kreischt wirksam von einer Bühne „ich lasse mir mein Schnitzel nicht wegnehmen“ und man möchte ich eine knallen und zurückrufen: „Will doch auch keiner, Du dumme Punz!“ Und das gilt natürlich auch dafür, dass Dinge nicht verboten werden dürfen, nur weil die doofe Realität ist, wie sie ist. Darum sind Faktenchecks natürlich kein Beitrag zur Objektivierung der Situation, sondern eben „woker Mist, der die Meinungsfreiheit untergräbt“. Und so wird heute die Frage, ob 1+1 eben 2 oder 4 ist, nicht zu einer Sache von richtig und Falsch, sondern zu einer Sache des Gefühls. Beispiel Zucker: Es wird gefordert, dass für Zucker nicht mehr geworben (!) werdem darf. Reaktion von von Söder: „Eltern sollen selbst entscheiden, wir dürfen nicht alles verbieten“. Wohlgemerkt: Niemand hat gefordert, Zucker zu verbieten. Natürlich dürfen Eltern entscheiden, ihren Kindern Süßigkeiten zu geben. Es geht darum, dass nicht millardenschwere Marketingstrategien unbedarfte Kinder beeinflussen dürfen sollen. Schon ein Unterschied, oder?! Und so funktioniert die Anti-Woke-Bubble. Wenn ich halt nunmal die MEINUNG habe, dass 1+1 vier sei, dann soll es das doch bitte sein dürfen. Ist ja meine Meinungsfreiheit. Das jedenfalls ist die gelebte Realität der Musks, der Trumps und neuerdings auch die der Zuckerbergs oder eben der Weidels und immer häufiger eben auch Merz, Söders und leider auch all zu oft Scholz. Aber vorn weg fliegen natürlich Weidel und Co dabei mit. Generell gibt es für eigentlich jede als „woke“ subsummierte Position irgendeine sachlich fundierte Grundlage. Alle Menschen sind gleich an Rechten und Wert? Nun, das lässt sich genetisch belegen, die Menschenrechte, die Verfassung so ziemlich jedes ernst zu nehmenden Landes mit einigermaßen demokratischen Grundzügen, alles belegt das. Geschlechter: Nun, es gibt nachweislich intersexuelle Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtsmerkmalen. Also lässt sich beweisen, dass es mit dem digitalen X-Chromosom doppelt: Frau, ein Y: Mann, nicht ganz so stimmen kann. Und es lässt sich auch beweisen, dass die hormonelle Ausstattung im Mutterleib Dinge in der Entwicklung, auch der Hirnentwicklung, verändert. Homosexualität ist natürlich, das lässt sich auch daran belegen, dass es von praktisch jeder Tierart dieses Verhalten bzw. diese Neigung gibt. Die Klimakrise ist ohnehin so gut belegt wie wenig sonst in unserer Zeit. Mann und Frau sind stammesgeschichtlich immer gleichgestellt gewesen. Der Mann als Herrscher über die Frau oder der Mann als Jäger und die Frau als Sammlerin in der Steinzeit? Längst wissenschaftlich widerlegt. Und und und. Nur wollen eben die 50er-Jahre-Geister das nicht wahrhaben und darum negieren sie schlicht diese Tatsachen. Und ein „glaub ich nicht“, reicht dann halt aus. Bei mir ist halt 1+1 4. Get over it. Aha!

Ich blick es einfach nicht. Keinen Meter!

Am Ende lässt sich also festhalten: Wenn die Rechten/Konservativen die Welt kontrollieren, dann gibt es viele Opfer. Andere Ethnien, LGBTQ+-Personen, künftige Generationen oder einfach Frauen würden massiv in ihren Rechten beschränkt. Gern natürlich auch Menschen in Armut oder so. Man ist am Ende gestraft für etwas, wofür man schlicht nichts kann. Die Geburt, die Veranlagung, die Ethnie, das Geschlecht etc. pp. Das halte ich für extrem schwierig und bedenklich. Zumal Gleiches auch für künftige Generationen gilt, was das Klima angeht. Auf der anderen Seite: Wer würde denn konkret leiden, wenn die Welt gesamt „woke“ wäre? Gut, in einem großen Übermaß könnte es vielleicht bedeuten, dass man z.B. Massentierhaltung oder motorisierten Individualverkehr schlicht verböte, dafür aber halt andere Lösungen für die Bedürfnisse fände. Sei es Laborfleisch, seien es immer besser werdende pflanzliche Ersatzprodukte, seien es neue Arten der Mobilität mit deutlich verbesserten ÖPNV und so weiter und so fort. Aber sonst? Wenn jetzt überall auf der Welt homosexuelle Menschen heiraten und sich auf der Straße küssen könnten: Wer würde leiden? Also jetzt mal objektiv. Nicht künstlich aufregen nach dem Motto „ich kann das nicht sehen“, sondern wirklich sinnvoll? Wer würde irgendwo einen Nachteil erleiden, wenn ein Mensch, der ein anderes Geschlecht fühlt, sich eben umoperieren lassen darf, den Geschlechtseintrag ändern darf und so weiter und so fort? Und jetzt komme mir BITTE niemand mit dem geifernden Mann, der das nur macht, um in eine Frauenumkleide zu gehen. Denn mal ehrlich: a) Spätestens mit der Hormonbehandlung lässt der Trieb ohne Frage nach. b) Der ganze Prozess ist extrem aufwendig, wer würde das machen, um ein bisschen in ner Umkleide zu spannen? Und c) und vor allem: Wenn er das will, warum geht er nicht einfach in ne fucking öffentliche Sauna, an nen FKK-Strand oder ähnliche Orte, wo man nackte Frauen jederzeit sehen kann? Mal ehrlich, dieses Argument ist unfassbar albern. Ja, es gibt ein Paar Dinge, über die man reden muss. Beispielsweise im Sport. Aber das sind doch keine Dealbreaker! Bei aller Liebe. Für mich bleibt eigentlich nur ein Punkt am Ende über: Man treibt die Menschen, die anders leben wollen, in die Kognitive Dissonanz. Aber das ist dann mal eher deren eigenes Problem!

Das Rheinland weiß es besser…

Und so bleiben wir doch am Ende bei dem, was im Rheinland schon seit Urzeiten bekannt ist: Jede Jeck is anners. Lasst Menschen doch einfach sein, wie sie wollen oder eben sind. Wo ist das Problem? Fahrt Eure Empörung mal nen Schnaps runter und lasst die Menschen einfach leben. Levve un levve lote. Auch so ein Spruch aus dem Rheinischen. Und ohne Frage ist es auch mehr als ein Zufall, dass ausgerechnet Köln die inoffizielle LGBTQ+-Hauptstadt in Deutschland ist. Aber vielleicht kann mir ja jemand sagen, welchen großen Nachteil eine „woke Welt“ so hätte oder wo Meinungsfreiheit durch Fakten ungebührlich eingeschränkt würde. Ich bin gespannt! Und nur zur Sicherheit: Eine Antwort, die mit „Gott wird“ oder „Gott will“ beginnt, zählt nicht. Ich lehne es ab, unsere Gesellschaftspolitik durch Fabelwesen bestimmen zu lassen. Ich sag ja auch nicht „Frodo hat“ oder „Harry Potter würde“…

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