Von FFF-Hass, Veganern und Kognitiver Dissonanz

Vorab: In diesem Text geht es scheinbar vor allem um Fridays for Future (FFF). Eigentlich ist aber die Reaktion auf diese Bewegung, die nun wieder aufkam, nur einer von vielen Punkten, die ich hier anspreche. Mich haben die Reaktionen auf die Berichterstattung schockiert und ein Stück weit frustriert. Aber sie sind nur EIN Punkt in diesem Text. Eigentlich wollte ich ihn, in sehr ähnlicher Form, schon in der Woche VOR den Demos schreiben. Auch VOR den entsprechenden Vorberichten. Auslöser war eigentlich eine ganz davon unabhängige Facebook-Diskussion. Trotzdem ist FFF ein guter Aufhänger. Aber zur Sache:

Am Freitag war es mal wieder so weit: Im globalen Klimastreik (oder besser: Klimademo, denn an vielen Orten finden die Demos mittlerweile nachmittags statt, es ist also eigentlich kein Streik mehr) gingen überall auf der Welt Hunderttausende Menschen auf die Straße. Was sie fordern ist eigentlich bekannt: Eine nachhaltige Wirtschaft, Klimagerechtigkeit auch und vor allem mit dem globalen Süden, und insgesamt einen gesellschaftlichen Umbau. Es sind Forderungen, die nicht nur vollkommen legitim und in absoluter Übereinstimmung mit dem Stand der Wissenschaft sowie internationalen Vertragen (völkerrechtlich bindendes Klimaschutzabkommen von Paris) sind, die Forderungen sind auch ökonomisch (!) total sinnvoll. Nicht nur die aktuelle Energiekrise zeigt uns doch, dass ein „weiter so“ uns nicht nur in unangenehme außenwirtschaftliche und -politische Abhängigkeiten stürzt (oder dort belässt), sondern auch für extreme Kostenexplosionen sorgt. Und: Spoiler-Alarm, es wird in der Zukunft TEURER auf Fossile zu setzen. Denn wir haben einen steigenden Energiebedarf in der Welt, während gleichzeitig die Reserven zurückgehen, denn wir beuten sie ja aus. Und da wir hier marktwirtschaftliche Prinzipien zu Grunde liegen haben, steigen die Preise. Jedes Jahr mehr und immer schneller. Nun überlegen ob der steigenden Preise ganz viele Menschen, was sie an ihrem Eigenheim tun können. Die einen wollen PV auf’s Dach, die nächsten denken über Wärmepumpen nach oder kaufen Kaminöfen (das Brennholz wird schon fast in Gold aufgewogen) und wieder andere investieren in Dämmung. Und das spart Geld. Letzteres habe ich gemacht und das Invest hat sich schon nach kurzer Zeit amortisiert und spart mir heute jedes Jahr Geld. Egal. Der Punkt ist: Energie zu sparen und andere Energieformen zu wählen ist wirtschaftlich sinnvoll. Und FFF fordert, dass politisch Entscheidungen getroffen werden, dass das schneller geht und besser umsetzbar ist. Zum Beispiel, indem Gesetze gemacht werden, durch die der Markt ein sicheres Wachstum erwarten darf. Damit würden sich dann mehr Unternehmen (wieder) in die Branchen PV, Wind und Wärmepumpen, Dämmung und vielleicht auch Dächer begeben. Denn dort gäbe es Geld zu verdienen. Mithin stiege das Angebot, ich könnte schneller um- und nachrüsten und ich dürfte auf sinkende Preise hoffen. Also: Total im Sinne jedes einzelnen Bürgers oder Bürgerin. Stattdessen ist ein gern genutztes „Argument“ GEGEN FFF „Ihr Träumer. Ich wollte neulich PV/Wärmepumpe/Dämmung/whatver einbauen und hab keine Handwerker gefunden. Das geht gar nicht“. Genau! Und FFF sagt implizit: DAS darf nicht sein. Wir müssen schnell Bedingungen schaffen, dass es dazu nicht kommen kann. Dass überdies auch des größten Kritikers’ Kinder profitieren würden, weil die Erde auch in ihren höheren Lebensjahren noch vernünftig bewohnbar wäre, ist ein toller Nebeneffekt.

Die Mär vom unreflektierten Wohlstandsbalg

Nun haben natürlich die Zeitungen von den Demos berichtet – vorher und danach. Und was auf den sozialen Medien los war ist mal wieder ein Quell steter Freude. Nicht! „Die sollen lieber in die Schule gehen“ (Fun-Fact: Die Demo in Krefeld war um 14.30 h. Da ist, zumal am Freitag, die Schule aus!) „Die haben alle die neuesten Handys und wollen konsumieren. Sie sollen bei sich selbst anfangen“ (Ja, tun sie. Viele der TeilneherInnen überdenken und ändern ihren Lebensstil. Übrigens können sie auch nichts für die Welt, in die sie geworfen wurden. Nicht für das Marketing, nicht für den sozialen Druck, nicht für die Produktionsweisen der Produkte). „Denen sollten Mami und Papi mal die Heizung im Kinderzimmer abdrehen“. (Gähn. Ja, so lustig und pointiert. Und so neu. Ich geh gleich drauf ein.) Und so weiter und so fort. Teilweise wurden die Beiträge auch durchaus aggressiv und es kommt richtiger Hass durch. Im Endeffekt sind es meist Menschen, die ganz augenscheinlich weder die Probleme, noch die Forderungen verstanden haben. Auffällig auch: Im überwiegenden Maße sind die Beiträge… nun… sagen wir mal „orthographisch kreativ“ (grammatikalisch sowieso). Es sind immer dieselben abgegrasten und 1000fach widerlegten Phrasen, die in fragwürdigem Deutsch gedroschen werden, bis wirklich alles zu Staub zerfallen ist. Natürlich ist auch immer die Mär vom e-Auto, das die Umwelt zerstört dabei. Übrigens hat FFF nie e-Autos gefordert, aber das ist ne andere Sache! (Ja, Akkus brauchen Lithium und seltene Erden. Nein, das ist kein exklusives e-Auto-Problem. Es betrifft auch Computer, akkubetriebene Haushaltsgeräte, Akku-Handwerksgerätschaft, Handys, Smart-Watches und was der Dinge mehr sind.) Richtig ist natürlich: Besser wäre gar kein Auto. Aber e-Mobile haben zumindest das Potential, nachhaltiger zu sein. Perspektivisch können die Akkus gegen andere ausgetauscht werden. Je grüner der Engergimix wird, desto besser werden e-Autos und außerdem verbrauchen sie einen Bruchteil der Primärenergie von Verbrennern. Und weiterer Fun-Fact: Die Ölsandförderung zeichnet sich auch nicht eben durch blühende Blumenwiesen aus. Und auch die Bilder von großen Förderfeldern überall auf der Welt landen nicht zum Camping ein. Von Ölbohrplattformen, die selbst im besten Fall ne Menge Öl in die Meere ablassen, weil Dichtungen nicht ganz so dicht sind oder es halt beim Anschluss an die Schiffe mal ein paar hundert Liter Oil-Spill gibt, ganz zu schweigen. Natürlich sind in diesen Kommentaren auch Windräder eine ökologische Katastrophe, weil sie ja Vögel schreddern und Wälder vernichten. Zu den Zahlen hatte ich in meinem Text Macht der Memes – mit Bildern und Emotionen lügen ja bereits etwas geschrieben. Ein verglastes Bürogebäude tötet statistisch viel mehr Vögel, als ein Windrad. Das nur als Vergleich. Die Autobahnen, die für ein Vielfaches der toten Vögel verantwortlich sind, darf man natürlich nicht kritisieren. Nichtmal nach einem Tempolimit fragen, das durchaus AUCH Vögel retten würde. (Und Menschleben, den Verkehr schneller machen würde, da nachweislich weniger Staus, Millionen Liter Sprit sparen und so weiter). Wälder, die für nachhaltigen Strom sterben, sind eine Katastrophe. Wälder die für dreckige Braunkohle weggebaggert werden, sind kein Thema. Und die Menschen, die das verhindern wollen, sind natürlich Terroristen. [sic!]

Das Schema ist bekannt

Nun müsste eigentlich jeder Beobachter zu dem Schluss kommen: Wenn den Forderungen von FFF nachgegangen würde (und man sich damit befasst hat), stünde mittelfristig jedem Menschen mehr und billigere Energie zur Verfügung. Nur für eine Übergangsphase müssten wir Einsparungen vornehmen. Die würden sich vor allem darin zeigen, dieselben Dinge, die wir heute tun, effizienter zu erreichen und hier und da ein wenig zu reflektieren, ob Dinge denn wirklich nötig sind. Und vielleicht hier und da auf überflüssige Energiefresser zu verzichten, bis wir die nötige regenerative Infrastruktur aufgestellt haben (*hust*Surfpark*hust*). Am Ende würde also von einer stringenten Umsetzung der Forderungen praktisch JEDER profitieren. Nur ein paar extreme Profiteure des Status quo in den Chefetagen von Automobil-, Energie- oder Luftfahrtkonzernen würden, nebst ihren Großaktionären, zu den Verlieren zählen. Du bist in keinem dieser Unternehmen mit nem Jahresgehalt jenseits der Millionengrenze angestellt und hast keinen Aktienanteil im zweistelligen Bereich? Glückwunsch! Du wirst vermutlich eher gewinnen. Das Problem ist: Wir sind alle so darauf manipuliert, den Zusammenbruch der Wirtschaft zu wittern, dass wir genau das erwarten, wenn etwas verändert wird. Obwohl wir profitieren würden. Und da wir selbst Angst vor Veränderung haben, und außerdem zu bequem sind, schlagen wir los. Dieses Losschlagen kennt man ja auch aus anderen Bereichen. Quizfrage: Was hältst Du von Veganern? Im Prinzip gibt es hier zwei Antwortmöglichkeiten: Die einen sagen: ‚Ich bin selbst VeganerIn und find das normal‘ und die anderen sagen: ‚Also generell kann ja jeder leben, wie er (gegendert wird hier üblicherweise nicht) will. Aber mich nervt, dass sie immer versuchen, andere zu bekehren‘. Ein ‚Find ich gut. Ich mach es nicht, aber eigentlich weiß ich, dass es der bessere/richtigere Weg ist‘ hört man in unter einem Prozent der Antworten. Aber wie ist denn das wirklich mit den bekehrenden Veganern? Versucht mal, Euch konkrete Situationen ins Gedächtnis zu rufen. Und im Normalfall wird da ziemlich viel schwarzer Bildschirm sein. Denn die gefühlte Übergriffigkeit deckt sich normal nicht mit der realen. Ich zum Beispiel bin zwar kein Veganer, kaufe aber kein Fleisch und so wenig wie möglich Milchprodukte oder Eier. Ich esse Fleisch, wenn es sonst weggeworfen würde und ich nutze hier und da mal ein Milchprodukt, z.B. Käse, wenn es wirklich keine gute vegane Alternative gibt. Aber das sind wirklich wenige, seltene Situationen. Oft habe ich aber schon folgende Situation erlebt: Ich gehe bei einer Veranstaltung an einen Essensstand. Sagen wir einen Grill. Und frage: „Sorry, ich ess eigentlich kein Fleisch. Habt Ihr auch irgendwas Vegetarisches oder sogar Veganes?“. Manchmal gibt es dann wirklich was, manchmal sind die Verkäufer dann total witzig und bieten mir an, ein Händchen Gras oder ein paar Blättchen auf den Grill zu legen, aber in etwa der Hälfte der Fälle steht irgendein völlig Unbeteiligter daneben und belehrt mich, ich solle nicht so fordernd sein und Anderen nicht meine Lebensweise aufzwängen. Oft fragt er (in der überwiegenden Zahl der Fälle sind es ers) danach dann nach irgendnem Sonderfall. ‚Habt Ihr denn echt nur Würstchen? Ich hätte gern ein Steak’ oder so. Egal. Der Punkt ist: Ich habe nur das Angebot abgefragt. Eine ganz normale, legitime Frage eines Kunden. Er hat mich zurechtgewiesen und ziemlich übergriffig behandelt, ohne von der Situation irgendwie betroffen zu sein. Denn realistisch ist es doch so: Ich esse IHM seine Sachen nicht weg. Wenn hat er also MEHR Auswahl durch mein Verhalten. Sonst hat dieses null Auswirkung auf ihn. Und diese Situationen sind in der einen oder anderen Form Alltag. Auf jede(n) VeganerIn oder VegetarierIn, der/die nen Carnivoren belehrt, kommen erfahrungsgemäß zehn Carnivoren, die Veganern oder Vegetariern die Welt erklären und ihnen sagen, dass sie doch Mangelernährt wären, dass ihr Essen Chemiepampe sei, dass sie übergriffig seien und überhaupt. Alles natürlich ungefragt. Ähnlich geht es den Fahrern von e-Autos. Ich kenne selbst einige Menschen, die schlagartig in der Nachbarschaft angefeindet wurden, nur weil sie sich sich ein e-Auto vor das Haus gestellt haben. Dabei hat weder die vegane Ernährung noch das e-Mobil auch nur die geringste Auswirkung auf Andere. Im Gegenteil! Wenn es einen Einfluss gibt, dann sinkt ja die Nachfrage nach Fleisch oder Benzin/Diesel. Und wenn sich am Angebot nichts verändert wird es dann für den Andern billiger. Marktwirtschaft halt, ne?! VWL, erstes Semester, erste Vorlesung.

Darf ich vorstellen: Kognitive Dissonanz

Nun stellen wir also fest: Menschen, die für sich selbst entschieden haben, sich einzuschränken oder besser: Ihr Leben (oft ohne jede empfundene Einschränkung) nachhaltiger zu gestalten und sich dafür einsetzen, dass die Bedingungen dafür geschaffen werden sollten, dass dieser Schritt einfacher und noch besser zu bewältigen ist, werden angefeindet. Und das, obwohl sie damit diejenigen, die sie anfeinden, eher ent- als belasten. Denn der Druck mich selbst zu verändern wird ja mit jedem Anderen, der es tut, geringer. Denn es bleibt etwas mehr CO2-Budget über, es bleibt mehr Rohstoff über und der Preis sinkt oder steigt zumindest weniger und so weiter. Also: Warum diese Anfeindung? Die Lösung dafür bietet die Psychologie. Generell sind heute die Fakten über Klimakrise, aber auch über die Folgen des Fleischkonsums, die Haltungsbedingungen, die Arbeitsbedingungen in Schlachtbetrieben und so weiter ziemlich bekannt. Es gibt zumindest in unseren Breiten wohl keinen Menschen, der nicht weiß, dass eine durchgehend mindestens vegetarische wenn nicht vegane Lebensweise, die auf 100 Prozent regenerative Energien setzt, deren Energieversorgung dezentral geregelt ist und so weiter und so fort der um Längen bessere Weg ist. Lassen wir das eigene Leben mal kurz raus (da haben Viele ein ganz falsches Bild!), dann aber doch zumindest für nachfolgende Generationen, aber auch für die gesamte Biosphäre. Im Umkehrschluss bedeutet das: Auch wenn sie vehement das Gegenteil behaupten, wissen praktisch ALLE Menschen hier, dass sie sich falsch verhalten. Sie finden aber nicht den Drive oder die Anleitung, etwas zu verändern. Und bleiben dabei, wie sie eben leben. Sie treffen also jeden Tag Entscheidungen, von denen sie rational wissen, dass sie falsch sind. Nun hat jeder Mensch eigentlich von sich selbst das Bild des „Guten“. Niemand hält sich selbst für den/die beschissenste(n) AutofahrerIn auf der Welt, niemand denkt, dass er oder sie so schlecht arbeitet, dass die schlecht Performance des Unternehmens maßgeblich an einem selbst liegt. Niemand sieht sich selbst als böse(n) EgoistIn. Und so weiter. Gleichzeitig wissen wir aber speziell in den genannten Punkten, dass wir eigentlich die Bösen sind. Und das kann unser Gehirn gar nicht gut haben. Der Zustand wird in der Psychologie als Kognitive Dissonanz bezeichnet. Das benennt einen Zustand, in dem wir eigentlich wissen, dass wir eben ein falsches Verhalten an den Tag legen. Wir haben Gefühle, Gedanken oder Empfindungen, die nicht zu dem passen, von dem wir selbst eigentlich wissen – oder überzeugt sind – wie wir uns verhalten, denken oder fühlen sollten. Und das verursacht Unwohlsein.

Wer sich besser verhält ist automatisch Ankläger

Und hier sind wir beim Punkt. Dieser Zustand ist für uns schwer zu ertragen. Darum verleugnen wir ihn. Das gelingt auch so lange ganz gut, wie alle um uns herum es genauso halten. Es ist völlig okay, Steuern zu hinterziehen, wenn es alle tun. Es ist okay, Fleisch zu essen, wenn es alle tun. Es ist okay, Verbrenner zu fahren, wenn es alle tun. Das Verhalten der Anderen dient uns als Legitimation unseres eigenen Verhaltens. Das löst die Dissonanz auf. Denn unsere Ansprüche an uns selbst liegen sehr stark in einem sozialen Kontext. Die meisten Menschen wollen in erster Linie deshalb „gut“ sein, um von ihren Peers, also den Menschen des sozialen Umfelds, als eben dies wahrgenommen und gemocht zu werden. So lange also alle mitspielen und ein stiller Konsens besteht, ist alles gut. Jetzt passiert aber die Katastrophe. Plötzlich legt einer neben mein Steak (von dem ich gehört habe, dass es die achtfache landwirtschaftliche Fläche sowie tausende Liter Wasser verbraucht, neben CO2 vor allem das viel kritischere Methan erzeugt, durch Gülle das Grundwasser mit Nitrat belastet, für Antibiotikarestenzen mitverantwortlich ist und überdies Tierleid erzeugt, das hinter nem KZ nun wirklich nicht ansteht (nebst Massenmord)) ein Stück Tofu auf den Grill. Soja von einem Feld in Brandenburg wird ohne weitere Energieverluste in Nahrung umgewandelt. Punkt. Vielleicht sogar noch aus Biobau mit Fruchtwechsel, gesunden Böden und so weiter. Und vor dem Haus hat diese Person dann einen e-Smart neben meinen Porsche Cheyenne gestellt. Sie wohnt – obwohl sie sich anderes leisten könnte – in einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in der Innenstadt, die sie in Eigenleistung so weit möglich gedämmt hat, während ich all mein Geld (der Porsche ist geleast) dafür aufwende, mein überdimensioniertes Haus im Vorort abzuzahlen. Plötzlich und unvermittelt nimmt diese Person die stille Übereinkunft dass Haus, SUV und Steak OK sind und zerreißt sie ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken, in der Luft. Obwohl dieser Mensch also wirklich nichts gemacht hat, nicht ein Wort gesagt, nicht eine Geste, nicht ein Zucken der Mimik, hat er oder sie mich doch frontal angegriffen. Er/Sie hat mir plötzlich all meine Unzulänglichkeiten vor Augen geführt. Bewusst war ich mir ihrer schon zuvor, aber sie waren im gesellschaftlichen Kontext akzeptiert. Und on Top ist diese Person dann auch noch politisch aktiv, als AktivistIn, und will eine bessere Welt schaffen. Das ist zu viel. Meine Kognitive Dissonanz dreht hohl. Die Person hat durch ihre bloße Existenz all die Unzulänglichkeiten auf mich reflektiert wie ein glänzender Spiegel. Und je mehr sie richtig macht, desto doofer stehe ich da. Was kann ich tun? Verschämt wegschauen? Mich entschuldigen und noch weiter erniedrigen? Mein Leben ändern und meine Niederlage eingestehen? Wie beschämend. Nein, das will ich nicht. Also bleibt nur die andere Lösung: Attacke! Ich muss die andere Person runter drücken. Unter mich. Ich MUSS ihr erzählen, wie falsch IHR Verhalten ist, um meins zu legitimieren. Ich MUSS ihr ihre eigenen (realen oder auch erdachten) Unzulänglichkeiten vor Augen führen. Und dann fallen mir ein paar Argumente ein. Die Kids haben keine Ahnung, wie die Welt läuft. Sie sind Träumer. Ihre Welt wäre nicht besser, sondern eine Dystopie. Ihr e-Auto ist viel schlimmer als meins, denn die armen Menschen in Peru… Und überhaupt die Vögel mit dem Windrad! Und ich fange eine lange Tirade an. Und der Witz dabei: Ich bin mir dieser Prozesse gar nicht bewusst, denn Kognitive Dissonanz erfolgt eher unterbewusst. Was ich aber WEISS: Die Person hat zuerst MICH angegriffen. SIE wollte MICH bekehren. SIE hat MIR vorgeworfen, schlecht und falsch zu sein. Und das erzähle ich natürlich auch ausgiebig im Freundeskreis – noch bei derselben Party. Achja und ihr vegan-Fraß schmeckt natürlich zum Kotzen!! Und nachher auf Social Media poste ich das alles noch. Es ist doch eine Frechheit, wie dieser Mensch mich bevormundet… Und noch immer hat der oder die Andere nicht ein Wort gesagt, mit den Achseln gezuckt und ist weiter gegangen. Oder, noch schlimmer, er/sie hat sauber argumentiert und mir vor Augen geführt, dass ich eigentlich unrecht habe. Ein noch unverzeihlicherer Angriff! Das und nichts anderes, ist die Wurzel der verbalen Übergriffe gegenüber KlimaschützerInnen, VeganerInnen, e-AutofahrerInnen und so weiter. Eine Freundin stellte neulich auf Facebook die Frage, warum es so schwer sei, einfach in einem Restaurant nach der veganen Variante zu fragen und ein e-Mobil zu fahren, ohne angefeindet zu werden. Nun, ich denke, hier ist der Grund. Ein „jede Jeck is anners“ funktioniert nicht, weil die andere Person mir meine Unzulänglichkeit vor Augen führt und mich damit (ungewollt aber automatisch) angreift.

Wo wir dabei sind: Noch ein paar Fakten

Es wird also keinen Frieden zwischen KlimaschützerInnen, VeganerInnen (auch Menschen die gendern) und so weiter geben. Die Kognitive Dissonanz der Anderen macht das unmöglich. Im Endeffekt hilft da also für diese Gruppen nur: Akzetieren, ignorieren und weiter machen. Frieden gibt es nicht. Ist der Ruf erst ruiniert… Aber wenn wir grad mal dabei sein noch ein paar Fakten zur Krefelder FFF-Demo am Freitag. Die angesprochenen „Kiddies, die die Welt nicht verstehen“, waren massiv in der Unterzahl. Von den rund 300 TeilnehmerInnen waren meiner Schätzung nach vielleicht 50 unter 20 Jahre alt. Die Hälfte davon allerdings so weit drunter, dass sie noch schlafend bei Mami oder Papi auf dem Arm dabei waren. Ich würde tippen: Mit meinen 45 Jahren habe ich den Altersschnitt noch gesenkt! Es ist also zumindest hier längst keine Jugendbewegung. Sondern es sind im Gegenteil viele sehr erfahrene Menschen, die eben zum Schluss kommen, dass bei uns vieles falsch läuft. Und dass es bessere Wege gäbe – auch wirtschaftlich. Weder wird hier Schule geschwänzt, noch wird im großen Stil das neueste Handy von Mami verlangt. So ziemlich alle TeilnehmerInnen führen einen eigenen Haushalt, kaufen ein, bezahlen Rechnungen, gehen arbeiten (oder beziehen Rente und haben lange gearbeitet!), erziehen Kinder oder haben es getan und so weiter. Die Vorwürfe sind wirklich überall falsch. In Krefeld speziell sind sie aber schlicht NA (not applicable, also schlicht insofern nicht zutreffend, dass sie einfach nicht zuortenbar sind). Natürlich sind dann Einige dabei, auch das zu hinterfragen. Warum laufen denn jetzt sogar die Jungen FFF weg? Ist das nicht ein Zeichen, dass man sich überlebt hat? Nein, es ist ein Zeichen dafür, dass erstens Krefeld keine Studentenstadt ist und darum bei fast jeder Organisation die Jugend fehlt. Zweitens muss sich auch FFF nach Corona neu finden und definieren und drittens gibt es einen anderen Effekt: Zwar hat sich seit dem Start der Klimabewegung objektiv durchaus einiges getan. Aber denkt mal zurück, als Ihr 15, 16, 17 oder Anfang 20 wart. Wie lange dauerte es von Oster- bis Sommerferien, von einem Weihnachten zum nächsten. Heute ist es eher ein „öhm… warum ist denn in drei Monaten Heiligabend? War nicht vorgestern Silvester?“. Für junge Menschen sind Zeitskalen anders und die Bewegung in der Politik ist ihnen – objektiv auch durchaus nachvollziehbar – viel, viel zu langsam. Darum hat eine große Gruppe frustriert aufgehört, ein anderer Teil hat sich ein Stück weit radikalisiert und ist heute bei Extinction Rebellion oder Endegelände. Einerseits gingen die auch während Corona einigermaßen weiter und zweitens hat man mehr das Gefühl, etwas zu tun. Ob das im Sinne der Klimaschutzbewegung gut oder richtig ist, darf bezweifelt werden. Aber psyhologisch verständlich ist es allemal. Wird FFF in absehbarer Zeit wieder zigtausende ziehen? Das vermag ich nicht zu sagen. Es hängt von vielen Faktoren ab. Der Winter ist für Demos eher eine schlechte Zeit, die mediale Abdeckung ist in Zeiten von Krieg und Rohstoffkrise fraglich und so weiter. Ich hoffe es aber sehr. Denn entgegen der meisten Kommentare ist eine konsequente Klimaschutzpolitik für die meisten heutigen Probleme – allen voran Teuerung und Energiekrise – die schnellste, einfachste, sicherste und auch günstigste Lösung. Kognitive Dissonanz hin oder her.

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