Ganz Deutschland, ja, große Teile der Welt, bleiben zu Hause. Wir alle versuchen verzweifelt, die Ausbreitung des SARS-CoV-2 einzudämmen. Das ist so weit gut und richtig und jeder sollte sich daran nach besten Kräften beteiligen. Viele Maßnahmen sind klar und richtig. Die Bundes- und Landesregierungen haben unterschiedliche Pakete beschlossen, die erreichen sollen, dass sich die Krankheit nicht weiter ausbreitet. Während aber Teile der Pakete fraglos richtig sind, erleben wir auf der anderen Seite aber gerade auch eine gefährliche Erosion unserer Grundrechte. Was zum Beispiel in Bayern und Sachsen abgeht, das ist der feuchte Traum nicht nur der Law-and-Order-Fraktion der Konservativen, es ist auch hochgefährlich und könnte der erste Schritt zum Ende der Freiheiten sein, die wir kennen. Wenn Polizisten ohne gerichtliche Kontrolle in eine Wohnung eindringen können, um dort nachzusehen, wer da ist, dann ist eine Grenze überschritten. Wenn es verboten ist, allein auf einer Parkbank zu sitzen, dann gilt das ebenso. Wenn es verboten ist, allein oder mit dem Partner, mit dem man ohnehin Kontakt hat, auch außerhalb des unmittelbares Wohnumfeldes spazieren zu gehen, dann ist das nicht nur sinnlos, sondern sogar aus vielen Gründen – Stichwort physische und v.a. psychische Gesundheit – sogar gefährlich und kontraindiziert. Und wenn personalisierte Handydaten getrackt werden sollen, dann wird mir schwindlig. Die Befugnisse, die der Bundesgesundheitsminister nun bekommen hat, bedeuten eine faktische Entmachtung des Parlamentes. Übrigens: Der Bundesgesundheitsminister ist nicht der große Hoffnungsträger der Welt. Es ist kein Kennedy. Es ist Jens Spahn. Eben jener Jens Spahn, der noch vor kurzer Zeit mit so bahnbrechenden Plänen kam wie „Wenn jede(r) im Pflegedienst unentgeltlich ein paar Stunden mehr arbeitet, ist das Problem der Pflegekrise gelöst“. Herzlichen Glückwunsch. Jetzt steht er vor jeder Kamera und kräht ein „die Pfleger sind die Helden unserer Zeit“ in den Äther. Spahn war ein Kandidat für den CDU-Parteivorsitz und hat gegen Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz verloren. Und der soll jetzt mit faktischer Allmacht ausgestattet werden, das Land zu lenken? Das hört sich für mich so an, als würde der dritte Stürmer des Tabellenletzten der Bezirksliga irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern zu Jogi Löw sagen, dass er ihn doch zur nächsten WM locker als zentrale Figur mitnehmen könnte.
Wann enden die Einschnitte in die Grundrechte?
Und dann ist da noch Markus Söder. Der bringt sich, parallel zu Spahn, wohl grad als Unions-Kanzlerkandidat in Position. Dieser Söder, der noch vor nicht allzu langer Zeit in einem Atemzug mit Andreas Scheuer oder Alexander Dobrindt genannt wurde, was die Kompetenz angeht. Das bedeutet so viel wie „Kompetent wie ein Zaunpfahl“. Jetzt war er der erste, der in einem Alleingang Ausgangsbeschränkungen erlassen hat und als alle anderen nachzogen, da hat er – ohne Not – noch einmal verschärft. Und seine Beliebtheitswerte gehen durch die Decke. Er positioniert sich als eben der Law-and-order-Mann, den die rechtskonservativen Kräfte der Union haben wollen – und das sozusagen zum Selbstzweck, denn die Regeln, die jetzt in Bayern herrschen, ergeben weitgehend gar keinen Sinn. Sehnen sich die Deutschen wieder nach einem starken Führer? Keine Ahnung, mir jedenfalls macht das ganze mächtig Angst. Einerseits, weil die Deutschen (und nicht nur die) so einfach bereit sind, elementarste Bürgerrechte aufzugeben, ohne in Frage zu stellen, ob das im Einzelfall sinnvoll ist, andererseits, weil sie diejenigen, die sie wegnehmen, dafür auch noch feiern. Noch einmal: Es geht mir nicht darum, die Maßnahmen an sich als falsch darzustellen. Ich denke, viele sind gut und richtig. Aber parlamentarische Kontrolle aufzuweichen oder abzuschaffen und zugleich Regularien durchzudrücken, von denen jeder Virologe oder Epidemiologe sagt, dass sie sogar schädlich sind, das ist dann doch fünf bis acht Schritte zu weit. Wir erleben gerade eine hochgefährliche Situation. Nicht nur in Deutschland. Wir erleben, wie Sonnenkönige die Macht an sich reißen und die Frage ist: Geben sie diese so einfach wieder her? Denn wir dürfen eine Sache nicht übersehen: Das Virus ist mittlerweile endemisch. Das bedeutet: Es wird nie wieder verschwinden. Wann also ist die Krise „überstanden“? Bei einem Waldbrand kann man sagen: Wenn das letzte Feuer gelöscht ist, wenn es nirgendwo mehr brennt und vielleicht auch mal kräftig regnet, dann ist die Krise überstanden. Aber bei SARS-CoV-2? Was markiert das Ende der Krise? Wir werden wohl für alle Zeiten eine bestimmte Infektionsquote haben. Covid-19 ist jetzt auf dem gleichen Niveau wie die Grippe, wie Erkältungskrankheiten oder in großen Teilen der Welt Malaria. Nicht, was die Gefährlichkeit angeht, sondern die Verbreitung.
Wo ist die Exit-Strategie?
Was mich stört, ist, dass nur über diese Maßnahmen gesprochen wird. Auf allen Kanälen befeuern Menschen das „Bleibt zu Hause“. Und das mit besten Absichten. Wenn jedoch mit epidemiologischen Daten berechnet wird, wie lange die Maßnahmen (u.a. „Bleibt zu Hause“) anhalten müssten, um Risikopersonen und Gesundheitssystemauslastung adäquat zu schützen, handelt es sich im best case um Monate und im worst case um Jahre. Dazu später mehr. Existenzen werden vernichtet – und wirkliche Lösungen, wie man dem entgegen wirken könnte, werden nicht angeboten. Ganze Branchen werden sterben. Gastronomie zum Beispiel. Oder Vereins- und Profi-Sport. Der Fußball kann sich vielleicht retten. Durch Geisterspiele im TV. Das aber ist für Handball, Eishockey, Basketball oder (europäischen) Football keine Option. Und ganz ehrlich: Wer in der aktuellen Situation denkt, wir können in diesem Jahr noch Großereignisse mit tausenden Zuschauern stattfinden lassen, der ist ein Träumer. Das aber wäre das faktische Ende dieser Sportarten mit all den Menschen, die wirtschaftlich davon abhängen. Ebenso für Musiker, Kabarettisten, Comedians und ähnliche Künstler. Und das geht weit über Spieler (die auch in den genannten Sportarten in der absoluten Überzahl nicht viel mehr verdienen, als normale Angestellte) hinaus. Ein Impfstoff wird wohl frühestens in einem knappen Jahr verfügbar sein. Und dann können wir vielleicht 3-400.000.000 Impfdosen im Jahr herstellen. Bedeutet: Bis die Menschheit durchgeimpft ist, bis Herdenimmunität erreicht ist, müssen wir etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung impfen. Da reden wir von rund fünf Milliarden Menschen. Es dauert also über zehn Jahre, den Impfstoff herzustellen. Und selbst wenn wir – ethisch durchaus mehr als bedenklich – nur mit den Industrienationen anfangen, dann geht das auch locker zwei bis drei Jahre. Das sind die Zeitskalen, in denen wir gerade agieren.
Wir brauchen radikale Lösungen
Also: Was ist die Alternative? Wie können wir dafür sorgen, dass wir in absehbarer Zeit, also sagen wir mal im Sommer, wieder unser Leben aufnehmen können. Vielleicht im Juli? Für mich gibt es dazu eigentlich nur eine sinnvolle Lösung. Und die ist nicht ganz ohne Risiken. Aber ich denke, wir müssen uns von der Vollkasko-Mentalität lösen. Also denken wir mal zwei bis drei Abstraktionsebenen höher. Worum geht es uns eigentlich? Geht es uns darum, dass sich niemand infiziert? Nicht im eigentlichen Sinne. Es geht bei den aktuellen Maßnahmen darum, dass keine oder möglichst wenig Menschen sterben. Wir kennen die Kurven über die Kapazität des Gesundheitssystems. Also: Was können wir tun? Grundsätzlich haben wir es bei Covid-19 mit einer ganz interessanten Konstellation zu tun. Während bei den Risikopatienten sehr hohe Todesraten zu verzeichnen sind, hat die andere Gruppe, ohne Vorerkrankungen, ohne andere Faktoren wie Rauchen oder schieres Alter sogar sehr selten einen schweren Verlauf. Hier sollte man also die Zahlen ermitteln. Heißt: Wir suchen ein Gebiet, das demographisch möglichst durchschnittlich ist und in dem die Krankheit möglichst durchschnittlich „angekommen ist“. Also nicht gerade den Kreis Heinsberg. Hier testen wir jetzt JEDEN. Dann ergründen wir: Wer hat Symptome, wer hat schwere Symptome und wer hat intensivmedizinische Behandlung nötig. Nach allem, was ich bisher über Covid-19 gelesen und gehört habe, dürfte sich das im Falle von Nicht-Risikopatienten im Promillbereich abspielen. Die allermeisten sind wohl sogar asymptomatisch. Hieraus ermitteln wir dann die Zahl der möglichen Infizierten der Nicht-Risikogruppe. Also sagen wir: ein Promill der jungen, nicht vorgeschädigten Menschen braucht intensivmedizinische Behandlung. Dann könnten wir die schweren Verläufe von 20 Millionen Infizierter dieser Gruppe mit 20.000 verfügbaren Intensivbetten gleichzeitig adäquat versorgen.
Freiwillige Durchseuchung bis zur Herdenimmunität
Also machen wir Folgendes: Wir rufen alle Menschen, die keine Risikofaktoren aufweisen – also keine chronischen Atemwegserkrankungen, Nichtraucher, unter 50, keine anderen chronischen Krankheiten wie Diabetes und so weiter – auf, sich in einer großen Datenbank einzutragen. Dann werden die Faktoren noch einmal vom Hausarzt überprüft. Es entsteht eine Datenbank, die vermutlich durchaus zwei Drittel der Bevölkerung annähernd enthalten dürfte. Diese werden jetzt nach verschiedenen Faktoren in vielleicht drei Gruppen (wenn wir mal die Zahl von 20 Mio, die wir oben angenommen haben, zugrunde legen) eingeteilt. Die Berufsgruppen, die besonders große Probleme haben, den Lockdown durchzuhalten, werden dann z.B. in Gruppe eins gepackt. Aber man könnte auch das Los entscheiden lassen. Nun werden diese Menschen unter ärztlicher Aufsicht – aber auf freiwilliger Basis – bewusst infiziert und in Vollquarantäne geschickt, diese möglicherweise auch mit weiteren Freunden und logistischer Versorgung in einer gemeinsamen Unterbringung, z.B. einem Hotel mit Bar und Pool, um die Akzeptanz zu steigern. Die Hotels hätten überdies dringend benötigte Einnahmen. Erst Gruppe eins. Sie sind nun infiziert. Die allermeisten davon asymptomatisch. Einige mit leichten, einige mit schwereren Symptomen, ganz wenige mit lebensbedrohlichen Symptomen. Ja, es werden dabei Menschen sterben. Ein paar Hand voll. Aber vergessen wir nicht: Die aktuellen Maßnahmen bedeuten nicht, dass man sich NICHT infiziert. Es geht nur darum, dass es nicht SOFORT ist und nicht alle gleichzeitig. Also: Früher oder später würde sich bis zur flächendeckend möglichen Impfung ohnehin fast jeder infizieren. Ob heute oder in zehn Jahren. Aber je jünger und gesünder, desto besser. Der Punkt ist: Wenn wir es vernünftig kalkulieren, wird das Gesundheitssystem nicht ans Limit gebracht. Und wenn die Quarantäne 14 Tage dauert, dann Gruppe zwei und drei folgen, dann hätten wir nach sechs Wochen alle nicht-Risikopatienten durchseucht. Wer nach der Quarantäne immun ist, der bekommt ein Zertifikat, mit welchem er in Kneipen, zu Fußballspielen und Konzerten und wo sonst auch immer hin gehen darf. Damit hätten wir vermutlich die nötige Größe für Herdenimmunität in wenigen Wochen erreicht und könnten das Leben ganz normal wieder aufnehmen. Der Infektionsfaktor wäre gedrittelt. Heißt bei nem R0 von etwa drei, dass wir all in bei eins oder weniger wären. Das bedeutet wiederum, die Zahl der Fälle geht sukzessive zurück. Die Gefahr für das Gesundheitssystem ist gebannt. Wir könnten ALLE Maßnahmen aufheben. Vielleicht abgesehen von den Hygieneregeln, denn die sind auch gegen jede andere Krankheit gar nicht so blöd. Außerdem könnten die nun immunisierten Personen Blutplasma spenden. Aus diesem könnten Antikörper gewonnen werden, die dann als Passivimpfung den noch folgenden schweren Fällen verabreicht werden könnten. Damit könnte die Todesrate weiter, möglicherweise nahe Null, wenn die Spendenbereitschaft ausreicht, gedrückt werden. Dieses Plasma könnte auch exportiert (nicht gewinnorientiert, im Idealfall!!) werden, um in Ländern wie Italien, Spanien oder den USA (um nur die derzeit am schlimmsten betroffenen zu nennen) oder als medizinische Hilfe für Entwicklungsländer bereitgestellt werden, welche durch ihre noch weniger belastbaren Gesundheitssysteme, Hygienemöglichkeiten und Arbeitsbedingungen besonders stark durch eine Ausbreitung des SARS-CoV-2 bedroht sind.
Andernfalls droht die Diktatur
Ja, das wäre eine sehr krasse Methode. Ja, es wäre auch ethisch nicht ganz ohne Diskussionsstoff. Aber ich denke tatsächlich: Es ist unsere einzige wirklich sinnvolle Möglichkeit einer Exit-Strategie. Denn ansonsten ist der Schaden für „die Wirtschaft“ noch unser geringstes Problem. Menschen sind Gewohnheitstiere und wenn wir uns an die Nummer mit den eingeschränkten Persönlichkeitsrechten gewöhnen – und das würden wir – dann öffnen wir totalitären Regimen Tür und Tor. Victor Orban macht in Ungarn gerade vor, wie man ein Parlament faktisch entmachtet und eine Diktatur entwickelt. Spahn ist auf einem ähnlichen Weg. Nun will ich Spahn nicht mit Orban vergleichen. Aber im Ergebnis hat er dennoch im Moment um Größenordnungen mehr Macht, als ihm dienstgradmäßig zusteht. Und auch in anderen Ländern sieht es ähnlich aus. Und noch etwas ist bedenklich: Unsere Welt ist krank. Nicht Corona-krank. Einfach krank. Seit vielen Jahren oder Jahrzehnten. Das wissen wir und viele Menschen wollen eine Veränderung. Hier mehr, da weniger, aber doch per Saldo eine stetig steigende Zahl. Jetzt erleben wir aber derzeit, dass Menschen in Kriegsmodus gehen. Dazu trägt auch die Terminologie der Politik bei, die fast überall auf der Welt sehr martialisch ist und tatsächlich von Krieg spricht. Und die Zustimmungsraten für Politiker überall auf der Welt steigen. Selbst die für Trump oder Bolsonaro. Und die haben in der Krise wirklich mehr falsch gemacht, als sich irgendein normaler Drehbuchautor ausdenken könnte. Die Situation, in der wir uns befinden, ist ernst. Aber Corona ist noch das geringste Problem, das wir haben. Und über die um 70 Jahre zurückgedrehte europäische Einigung habe ich dabei noch gar nicht gesprochen… Wir brauchen die Exit-Strategie. Und das schnell. Nicht für die Wirtschaft, nicht für die Finanzmärkte – für unsere Freiheit.