Grenznutzen – oder Eltern vor Kindern?

Wenn ein Haus brennt, dann kommt die Feuerwehr. Sie bringt große Pumpen und Spritzen und tut alles, mit allen denkbaren Mitteln, um das Haus zu löschen und die Menschen darin zu retten. So weit so gut. Wasser ist genug vorhanden und Menschenleben sind allen Einsatz wert. Kein Widerspruch! Was aber passiert, wenn das Haus nicht in Deutschland steht, sondern irgendwo in der Sahel-Zone, wo Wasser extrem knapp ist? Was, wenn es nur einen Wassertank in einem Dorf mit 5000 Einwohnern gibt und man nun dieses Trinkwasser nutzt, um ein Haus zu retten und vielleicht fünf Personen darin? Ich rette fünf Menschen – auf Zeit – denn wenig später müssen fünfTAUSEND, darunter auch die zuvor geretteten, verdursten. Wie würden Sie dann verfahren?

Wir stehen also zunächst vor der Frage, wie viel ein Menschenleben wert ist. Ist es in Geld zu bemessen? „Natürlich nicht!“, werden nun die allermeisten Menschen empört ausrufen. Und dem ist auch so. Menschenleben zählen viel mehr als Geld. Doch was, wenn die Alternative nicht Verlust ist, sondern Tod? Was, wenn ich ein Leben rette und dafür tausend opfere? Dann sieht die Gleichung – siehe das Dorf in der Sahelzone – plötzlich anders aus. Die Investition, die nötig ist, um die fünf Personen zu retten, ist viel höher, als der Effekt. Zumal die Ressourcen anderweitig viel nutzbringender genutzt werden könnten. Das ist das Prinzip des Grenznutzens.

Corona oder Klimawandel?

Nun ziehen wir unser Beispiel etwas weiter. Denn in dem Haus sind alte Menschen, während das Dorf voller Kinder ist. Verändert das die Gleichung? Und wie ist es, wenn die Alten in dem Haus die eigenen Eltern sind – unter den Kindern im Dorf aber die eigenen Kinder? Bin ich bereit, mein(e) Kind(er) zu opfern, um meine Eltern zu retten, und sei es nur auf Zeit? Fraglos, ein ethisches Dilemma. Aber eines, vor dem wir in der Tat stehen. Bereits jetzt opfern wir auf dem Altar der Corona-Vermeidung unsere Wirtschaft. Die Maßnahmen werden dazu führen, dass ganze Wirtschaftszweige sterben könnten. Wenn nämlich die Maßnahmen noch so lange aufrecht erhalten werden, wie es sich derzeit abzeichnet, dürfte es praktisch keine Unterhaltungsindustrie mehr geben. Künstler, Theater, Profisport – all das wird auf Dauer nicht überleben. Gleiches gilt für die Gastronomie. Andere Bereiche werden massive Verluste erleiden. Und das wird zu Arbeitslosigkeit, zu Not und Elend führen. Und noch zu etwas Anderem, meines Erachtens nach viel Schlimmeren. Denn eigentlich ist „die Wirtschaft“ der Götze, den wir anbeten, wie nie zuvor einen Gott in der Menschheitsgeschichte. Wenn die Wirtschaft leidet, dann müssen wir ihr helfen. Mit allen Mitteln. Und hier kommt das große Problem: Diese Mittel können – ähnlich wie das Wasser in unserem Dorf – nur einmal verwendet werden. Und schon steht Corona im Wettstreit mit Klimaschutz. Die ersten Politiker stellen sich hin und propagieren, dass die Mittel nun für Hilfen aufgewendet werden müssten und für Klimaschutz nur das bliebe, was noch machbar wäre. Und sogar die – ohnehin vollkommen unzureichenden – bereits beschlossenen Maßnahmen werden in Frage gestellt. Eine echte, dem Schaden angemessene CO2-Bepreisung? Eine Abgabe auf reale Umweltschäden? Ein Einpreisen derselben in die Berechnung des BIP? Alles keine Frage (mehr). Wir sind bereit, für eine Krankheit, die in den allerschlimmsten Szenarios zwischen fünf und zehn Prozent der Menschen tötet, unfassbare Summen aufzuwenden. Jede Woche Lockdown kostet allein Deutschland nach Schätzungen der Bundesbank knapp 50 Milliarden Euro. Weltweit kursierte von der Weltbank schon vor zwei Wochen die Zahl von acht Billionen Dollar. Das sind acht TAUSEND Milliarden. Eine acht mit zwölf Nullen.

Ein paar Millionen oder ein paar Milliarden?

Dieses Geld lassen wir uns den Schutz vor der Krankheit kosten. Ich will diese gar nicht verharmlosen – man verstehe mich nicht falsch. Ich finde es schrecklich, die fünf Menschen in dem Haus verbrennen zu lassen (wobei man das Bild auch noch weiter drehen könnte und daran zeigen, wie absurd unsere Maßnahmen eigentlich sind, aber das soll hier nicht Thema sein. Vielleicht später mal)! Aber noch schrecklicher fände ich, die ganzen Dorfbewohner verdursten zu sehen. Unter dem Strich mag diese Fragestellung psychopathische Züge an sich haben, erinnert es doch sehr an das „Trolley-Problem“ (zu Deutsch: Weichenstellfall). Bin ich bereit, eine kleine Zahl Menschen zu opfern, um eine große Zahl zu retten? Wobei beim Trolley-Problem die Entscheidung zum Tod der wenigen Menschen aktiv gefällt werden muss. Bei Corona geht es, übertragen wir das Bild auf die Realität, um Unterlassen und eben keine Umleitung des Zuges auf die Vielen. Aber das nur am Rande. Der Punkt ist: Wenn wir diese acht Billionen Dollar in den Klimaschutz investieren würden, anstatt in Corona, wir könnten vielleicht noch die Wende schaffen. Wir könnten das Weltklima womöglich noch halbwegs retten. Die größte Krise in der Geschichte der Menschheit ist nicht Corona – es ist der Klimawandel! Er wird, wenn auch nur die optimistischsten Szenarios der seriösen Wissenschaft, die einigermaßen Konsens finden, zutreffen, mehr Opfer fordern (auch in relativen Zahlen), als die schwarze Pest oder der zweite Weltkrieg. Interessanterweise geht die Forschung nach genetischen Untersuchungen davon aus, dass die Menschheit in ihrer Geschichte ein einziges Mal kurz vor der Auslöschung stand. Vor rund 73.000 Jahren. Damals gab es, das zeigen unsere Gene, wohl nur eine Hand voll Überlebender. Was war passiert? Nun, die Vermutungen deuten auf einen Ausbruch des Toba hin, eines Supervulkans, in dessen Folge es zu einer Katastrophe für die ganze Welt kam: Einer massiven Klimaveränderung. Parallelen zur Gegenwart sind eher nicht zufällig. Wir reden also von einer Krankheit die in den allerschlimmsten Fällen mit einem überforderten Gesundheitssystem und einer überalterten Bevölkerung zu einer Sterblichkeit von zehn Prozent führte. Wobei die Infektionszahlen durchaus angezweifelt werden dürften und vermutlich viel höher liegen, das die Todesfälle zwar absolut gleich ließe, die Mortalitätsrate relativ aber stark verringern würde. Aber, ja, es könnte Millionen Tote geben. Der Klimawandel aber könnte zu Milliarden Toten führen. Was ist die größere Bedrohung?

Meine Eltern oder jemand anderes‘ Kinder?!

Nun zeigt unser moralisches Dilemma seine volle Wucht. Denn der Klimawandel wird uns zwar alle treffen, aber hier, in Deutschland, wird es wohl eher ungemütlich, in anderen Teilen der Welt aber tödlich. Das heißt, die Frage, die sich faktisch und in erster Instanz stellt, ist: Rette ich meine Eltern oder jemand anderes‘ Kinder? Fraglos, eine verflucht harte Entscheidung. (Wobei die eigenen Kinder und Kindeskinder auf lange Sicht durch Kriege, Seuchen und so weiter ebenso betroffen wären. Aber das ist gedanklich eben lange weg.) Aber sie ist real. Man stelle sich vor: Ich stehe auf einer Klippe und habe eine Strickleiter. Die Klippe fällt zu zwei Seiten ab. Links hängen meine beiden Eltern, rechts zehn Kinder. Ich kann die Leiter nur zu einer Seite herunter lassen. Was tue ich? Ist das eigene Kind dabei, dann würde wohl fast Jeder dieses zuerst retten und die anderen Kinder nur als Kollateralnutzen, während die Eltern abstürzen. Aber sind die Kinder alle Fremde? Ein großes Dilemma! Man verstehe mich nicht falsch: Ich halte es für gut und richtig, Maßnahmen gegen Corona zu ergreifen und Menschenleben zu retten. Aber nicht um jeden Preis. Ich denke, die allerwichtigsten Maßnahmen sind und bleiben die gegen den Klimawandel. Dem muss alles untergeordnet werden. Auch der Kampf gegen Corona. Wir erleben den dritten Sommer in Folge eine Dürre. Die Waldbrandgefahr in Deutschland ist schon auf Höchstwerten – und der Sommer hat nicht einmal angefangen. Die 30 Grad wurden noch gar nicht erreicht und der Winter war ziemlich verregnet. Einmal ist Wetter, zweimal ist Wetter. Dreimal in Folge? Nun, das sind schon zehn Prozent von 30, also zehn Prozent Klima – und ein eindeutiger Trend. Was ich damit sagen will: Der Klimawandel ist nicht irgendein diffuses Problem in der Zukunft. Er ist real. Jetzt. Hier. Heute. Und er wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Unsere Kinder werden in einer Welt aufwachsen, die vieles, was für uns normal war und ist, nicht mehr bieten wird. Die Elend, Seuchen, Not, Hunger und Durst bereithalten wird. Und Ressourcenkriege. Denn die Menschen in den ärmeren Regionen der Welt, die besonders betroffen sind, werden nicht einfach brav und friedlich sterben. Sie werden kämpfen. Das würden wir auch!

Investition mit Augenmaß

Viele fragen jetzt: Können wir nicht beides tun? Und da bin ich sofort dabei. Ich könnte mir ein ganz anderes Wirtschaftssystem vorstellen. Eins, das sowohl einen sozialen Ausgleich, als auch die Nachhaltigkeit im Blick hat. Bei dem Wohlstand und Konsum kein Selbstzweck sind. Eins, bei dem Schäden im System auch negativ – und nicht oft sogar positiv – im BIP zu Buche schlagen. Aber so lange das nicht implementiert ist, so lange wir weiter machen wie bisher, werden wir uns wohl oder übel entscheiden müssen. Also: Nehmen wir jetzt doch mal einmalig Geld in die Hand und investieren gegen Corona. 50 Milliarden Schaden pro Woche? Dann machen wir es wie China, bauen wir für 100 Milliarden riesige Kliniken mit Notfallbetten in jede Stadt – mit ausgehebelten Genehmigungsverfahren und Ausschreibungsformalitäten. So, dass wir in drei oder vier Wochen 100.000 neue Intensivbetten oder mehr haben. Und zwar staatliche! Lassen wir die privaten Kliniken normal arbeiten und decken die Corona-hilfe in den Notkliniken ab. Dafür können wir dann Lockdown komplett aufheben mit weiteren Vorsichtsmaßnahmen und Schutz von Alten, die diesen Schutz mit sozialer Isolation Besuchen selbstbestimmt vorziehen. Mit entsprechend ausgeweiteten Kapazitäten im Gesundheitssystem. Und auf Dauer sparen wir so sogar Geld. Und nein, das Geld, das wir jetzt ausgeben, darf nicht aus den Klimaschutztöpfen kommen. Im Gegenteil!

Nicht Luft anhalten – raus rennen

Wir stehen, um das Bild des brennenden Hauses noch einmal zu bemühen, da und haben von der Feuerwehr gesagt bekommen, dass Rauchgase das Gefährlichste seien. Darum halten wir die Luft an. Mag als kurzfristige Maßnahme gar nicht doof sein. Ist aber kein Zukunftskonzept. Kurz Luft anhalten und raus rennen, das wäre das Mittel der Wahl. In unserem Fall zum Beispiel die oben genannten Kliniken. Oder andere Lösungen. Es gibt da durchaus Möglichkeiten. In jedem Fall sollte an einer Lösung gearbeitet werden. Der Lockdown ist nur eine Verzögerung, keine Lösung. Er beseitigt das Problem nicht. Wir nehmen gerade Aspirin und denken, es hilft gegen die Krankheit. Nein, tut es nicht. Es kaschiert nur Symptome. Also tun wir etwas! Und halten wir im Hinterkopf: Wir haben nicht so viel Wasser, zu löschen und zu trinken. Nutzen wir das, was wir haben, effizient. Denn die ganz große Bedrohung ist eine andere.

Wir müssen uns, plakativ ausgedrückt, gerade entscheiden, ob wir unsere Eltern, oder unsere Kinder retten. Und wir müssen uns bewusst sein: Die Menschen, die gerade in den Entscheidungspositionen sind, gehören eher der Generation der Eltern an. Sie sind also nicht objektiv, denn es geht um ihren eigenen Arsch. Ja, auch ich habe noch Eltern, Tanten und auch Freunde, die aus verschiedenen Gründen der Risikogruppe zugehören. Aber ich habe auch einen Sohn, einen Neffen, Nichten und die Kinder meiner Freundin. Und ich würde, wenn ich vor der Wahl stünde, zuerst diese retten und dann sehen, was für die Eltern und Freunde übrig bleibt. Extrem schweren Herzens, keine Frage, aber eine gute Lösung gibt es nunmal nicht, nur eine etwas weniger schlechte. Das ist, nicht zuletzt, der Lauf der Natur.

Überdies mag sich der Konflikt auf den ersten Blick nur im Hier und Jetzt nur auf die Eltern- und Kindergeneration beschränken. Auf den zweiten Blick müssen wir aber fragen, was unsere Handlungen für die Lebensgrundlagen auch unserer Enkel, Urenkel usw bedeuten? Diese Frage der Generationengerechtigkeit beantworten die Irokesen mit dem Sieben-Generationen-Prinzip, festgehalten im Jahr 1722: Der Mensch solle bei jeder Handlung bedenken, wie sich diese bis auf die siebte Generation hin auswirkt.

Wir aber tun gerade das Gegenteil und das ist nicht nur kurzsichtig und dumm, es ist auch noch zutiefst unnatürlich und würde unserem intuitiven Bild von richtig und falsch massiv widersprechen – wenn wir uns die Entscheidung wirklich bewusst machten. Maßnahmen gegen Corona: Gut. Von mir aus tragen wir Masken, reichen uns nicht mehr die Hände und husten in die Armbeuge. Alles gut. Aber vieles andere? Da ist meiner Ansicht nach der Aufwand weit größer, als der Ertrag. (Zumal viele Opfer der Maßnahmen auf der anderen Seite gar nicht erfasst werden. Viele Menschen leiden extrem unter den Kontaktbeschränkungen. Bis hin zu schweren psychischen und physischen Schäden.) Das ist Grenznutzen. Und die Maßnahmen verbrauchen Mittel, die woanders deutlich dringender gebraucht würden. Ein Leben kann durch nichts aufgewogen werden – außer durch andere Leben. Und DAS ist, was wir gerade erleben. Corona hin oder her, es darf nicht eine Klimaschutzmaßnahme dafür geopfert werden, denn derer sind es ohnehin schon viel zu wenige! Erneut: Die größte Bedrohung der Menschheit ist nicht Corona, es ist der Klimawandel. Und en Blick dafür sollten wir keinesfalls verlieren.

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