Das Jahr neigt sich dem Ende zu und das ist für Viele ein Grund zur Freude. 2020, das verfluchte Corona-Jahr, ist vorbei. Und das wollen sie – eigentlich wir alle – intuitiv intensiv feiern. Aber wie? Natürlich mit einem krachenden Feuerwerk. Fair enough, hätte ich noch vor zehn, zwölf Jahren gesagt und eifrig mitgeballert. Klar, es macht Spaß, Dinge hochzujagen, Krach zu machen und mit Feuer zu spielen. Das ist bei Kindern der Fall und irgendwie erhalten viele Menschen sich das bis ins Alter. Generell könnte man sagen: Macht halt, wenn Ihr Spaß daran habt. Ist ja Euer Geld. Eigentlich. Nur ist da eben noch so ein diffuses Konzept namens „Vernunft“ und noch eines Namens „Verantwortung“. Ja, ich weiß… Scheiß Verantwortung. Überall wird man damit heute konfrontiert. Einfach mal machen, einfach mal laufen lassen und nur tun was einem Spaß macht? Nee, das geht ja nicht mehr. Mein großes Auto machen sie mir madig wegen Feinstaub und Klima. Fleisch ist sowieso böse. Ich muss Gendern und darf nichtmal mehr nen „Negerkuss“ essen. Aber mein Feuerwerk, das nehmen sie mir nicht. Das tut nun wirklich keinem weh! So oder so ähnlich hört man es ziemlich oft.
Tut keinem weh?
Nun, natürlich kann man diese Sichtweise irgendwie haben. Ich krieg mir das sogar irgendwie rund gelutscht und kann es intellektuell schlucken. Vielleicht auch emotional. Aber moralisch? Leider passiert gerade in dieser Diskussion, die in Krefeld wohl noch emotionaler geführt wird, als in anderen Städten – aber dazu später mehr – genau das, was praktisch jede gesellschaftliche Diskussion der vergangenen Jahre vergiftet: Dutzende Themen werden in einen Topf geworfen und dann wird kräftig gerührt. Und was passiert dann? Nun, klassische Farbenlehre auf politisch. Wir alle haben gelernt, was passiert, wenn man alle Farben mischt. Heraus kommt: Braun. Und das ist oft auch politisch so. Die Menschen werfen dutzende verschiedene Themen in einen Topf. Coronabeschränkungen und Klimaschutz, Feinstaub (fälschlicherweise ohnehin im Topf Klimaschutz) und Kunststoffe, Fleischkonsum und Urlaubsflüge. Ganz egal. Es wird eifrig gerührt und am Ende kann nur eine Gruppe Antworten bieten: Die, die sich ohnehin einen Dreck für Andere interessieren. Nach mir die Sintflut, Tiere sind zum Essen da, wenn irgendwo in der Südsee ne Insel absäuft kann es mir egal sein und überhaupt ICH bin der Mittelpunkt der Welt. Das ist die einzige scheinbare Lösung für alles. Nun, wenn ich mir die Welt so einfach mache, dann komme ich natürlich gut hindurch. Zumindest auf den ersten Blick.
Die wahren Fakten
Doch schauen wir uns die Dinge doch mal genauer an und konzentrieren wir uns auf das Feuerwerk. Dass gigantische Werte binnen Minuten sprichwörtlich und tatsächlich in Rauch aufgehen (im vergangenen Jahr nach Zahlen des Verbandes 133 Millionen Euro): Geschenkt. Die Leute können generell mit ihrem Geld machen, was sie wollen. Ja, es ließe sich weit besser anlegen, aber das ist wie gesagt noch Freiheit. Aber das Geld löst sich eben nicht in Luft auf. Es geht eben in Rauch auf – an Silvester blasen wir in wenigen Minuten zwei Prozent der gesamten Feinstaubmenge des Jahres in die Luft. Der Grenzwert von 50 Mikrogramm wird um das 20-Fache gerissen. Es ist die Menge Feinstaub, die der ganze Verkehr in zwei Monaten in die Luft bläst. Der Lärm verschreckt Millionen Tiere – Wild- wie Haustiere – und ihr Verhalten normalisiert sich erst nach Tagen wieder. In dieser Nacht quellen Notaufnahmen über, Feuerwehr und Polizei haben die härteste Nacht des Jahres und, last but not least: Es gibt eine klare Evidenz, dass dauerhafte Luftbelastung und Coronasterblichkeit sehr deutlich korrelieren. In Gebieten mit hoher Luftverschmutzung ist Covid um Größenordnungen gefährlicher, als in solchen mit sauberer Luft. Bei akuter Belastung ist die Datenbasis geringer, aber dennoch gehen Experten auch hier von einer klaren Korrelation (beziehungsweise sogar Kausalzusammenhang) aus. Darauf hat nun auch der Bundesverband der Pneumologen (Lungenärzte) in einer Pressemitteilung hingewiesen. Heißt: Wir riskieren bei einer exzessiven Böllerei (Menschen)Leben!
Ist Corona nicht Belastung genug?
Das bedeutet übersetzt: In einer Zeit, in der in ganz Deutschland die Inzidenzwerte im dreistelligen Bereich liegen, in der das Gesundheitssystem langsam an die Grenze kommt und gerade Helfer und Retter stets einem besonderen Risiko ausgesetzt sind, wollen wir sie in eine Situation setzen, in der sie erfahrungsgemäß mit Raketen beschossen, tätlich angegriffen und zu weit mehr Einsätzen gerufen werden. Wir wollen Notaufnahmen, die mit Covid-Patienten genug zu tun haben, noch mit ein paar abgerissenen Fingern, Knalltraumata und Verbrennungen würzen. Die ein oder andere Alkoholvergiftung noch als Kirsche obendrauf. Wir wollen schön zum ballern zusammen kommen, denn das ist ja auch irgendwie ein Gemeinschaftserlebnis, und Covid noch ein bisschen verteilen. So dass wir dann ein paar Tage drauf noch höhere Werte haben. Und die dann infizierten sollen durch die hohe Belastung der Lungen auch noch ne höhere Mortalität aufweisen. Joa, hört sich sinnvoll an. Wir sind bereit, auf Sport und Sozialleben zu verzichten. Wir machen ein Sterben der Gastronomie mit und lassen unsere Kinder in der Schule Masken tragen. Aber bei den zehn Minuten Ballerei hört der Spaß auf? Manche sollten ernsthaft mal über ihre Prioritäten nachdenken!
Stadt will kein Verbot
Ein Verkaufsverbot in Deutschland wurde von der Politik abgelehnt. Wohl aus Angst, dass es von den Rechten instrumentalisiert würde. Vermutlich nicht völlig zu unrecht. In Krefeld gibt es nun einen Antrag, der ein stadtweites Verbot fordert. Dem wird die Stadt, wie es aussieht (das ist meine persönliche Einschätzung der politischen Mehrheiten. Am Abend ist die Sitzung), nicht folgen. Die Verwaltung verweist auf (angeblich) mangelnde Rechtssicherheit und brachte einen eigenen, „weichen“ Antrag ein – und sicher möchte man sich auch nicht unbedingt als „Verbotspolitiker“ ins Gedächtnis bringen. Dann lieber eine weiche Lösung mit eng definierten Verbotszonen. Dabei haben wir gerade hier erfahren, dass Feuerwerk nicht nur Tiere stark belastet und bei Menschen Gesundheitsschäden und Verletzungen hervorruft. Nein, die vergangene Silvesternacht 2019/2020 brachte den „perfekten“ Start für das „Horrorjahr“ 2020. Wohl jeder hat von dem Affenhausbrand gehört, bei dem 50 Tiere, darunter Gorillas, Schimpansen und Orang Utans, die für viele Krefelder gefühlte Familienmitglieder waren, elendig verbrannten. Der Mut, aus diesem Konglomerat von Gründen die richtigen Schlüsse zu ziehen, fehlt jedoch.
Was steht auf der Gegenseite?
Doch warum ist das so? Als Gegenargumente werden vor allem drei Dinge angeführt: Die Ablehnung von „Verbotspolitik“, Tradition und Personalprobleme bei der Kontrolle eines Verbots. Doch schauen wir uns diese Dinge einmal an. Verbote sind heute ein Synonym für Unterdrückung. Dabei sind Verbote der Inbegriff von Zivilisation! Was unterscheidet eine Zivilisation wie unsere von Barbarei? Rechtsstaatlichkeit zum Beispiel. Ich darf nicht einfach jemanden töten oder mir Dinge nehmen, die mir nicht gehören. Ich darf nicht mit 150 durch die Fußgängerzone kacheln und mich nicht einfach als Arzt ausgeben und an Leuten rumschnippeln, wenn ich es nicht bin. Und Hunderte Dinge mehr. Aber das alles sorgt für unser aller Sicherheit und kommt uns zu Gute. Es ist eben Zivilisation. Warum aber soll das Verbot zu töten eine Errungenschaft sein, das, Andere durch Böller zu schädigen aber nicht? Eben; das Argument ist Unsinn.
Tradition ist auch ein gern genutztes Argument. Nun, erstens gibt es das Feuerwerk mal grad seit einem Jahrhundert. Also deutlich kürzer als Schützenvereine, den Karneval oder selbst so manchen Fußballverein. Vor allem aber: Es war auch immer so, dass Frauen keine Rechte hatten und Männer sich geholt haben, was sie wollten. Es gab Sklaverei und rassistische Unterdrückung. Tiere wurden (auch offiziell/gesetzlich) als Sachen behandelt und man hat Jahrhundertelang ungeklärte Abwässer in Flüsse geleitet. Krieg in Europa ist historisch auch ne sehr adrette „Tradition“. Aber wir haben all das mehr oder minder überwunden oder haben zumindest als Gesellschaft das feste Ziel dazu. Tradition zu sein macht doch eine Sache nicht für sich gut! Es gibt heute neue Erkenntnisse. Wir WISSEN heute um Feinstaub und seine Gefährlichkeit. Das war in den 70ern noch nicht so. Wir wissen, was die Ballerei mit Tieren macht. Wir wissen auch um die gesellschaftlichen Folgen. Und schließlich: Heute ist die Menge der Böller aufgrund größeren Wohlstandes viel größer, als damals. Also vielleicht ist diese Tradition einfach mit der modernen Welt nicht vereinbar. Wir machen Trinkwasserrohre nicht mehr aus Blei, wir haben kein Blei mehr im Benzin, wir haben Grenzwerte für Dinge, die giftig sind, wir haben übrigens in immer mehr Ländern der Welt auch die Todesstrafe abgeschafft und so weiter. Die Welt dreht sich! Das Argument ist nur eine leere Phrase.
Und schließlich: Natürlich ist nicht realistisch zu ahnden. Zumindest nicht alle Fälle. Millionen würden trotzdem böllern und nur ein kleiner Prozentsatz könnte belangt werden. Also lassen wir es besser, mit den Verboten, oder?!. Frage: Wie viele Alkoholfahrten bleiben ungeahndet? Sollen wir deshalb Alkohol am Steuer erlauben? Wie viele Diebe werden nicht gefunden? Ja, wie viele Morde nicht aufgeklärt? Sollen wir darum sagen: Scheiß drauf, wir kriegen nicht jeden, dann erlauben wir es? Nein! Wir strengen uns etwas mehr an, um die Regeln unserer Gesellschaft so gut wie eben möglich umzusetzen. Das ist geradezu die Basis von Strafverfolgung und – siehe oben – die Basis von Zivilisation.
Lasst uns doch mutig sein!
Was also ist so schlimm daran, wenn wir jetzt ein Verbot statuieren, das nicht so leicht umsetzbar wäre? Es würde Millionen sparen, die Gesundheit von Menschen verbessern, Millionen Tiere schonen. Auf der Gegenseite stehen zehn Minuten Spaß. Wer ernsthaft behauptet, dass das die Sache wert sein könnte, den kann ich kaum ernst nehmen. Ja, es fällt schwer, auf liebgewonnenes zu verzichten. Das verstehe ich. Und das ist generell verständlich. Aber wir sind Menschen, wir sind von Natur aus vernunftbegabte Wesen, auch wenn man daran all zu oft zweifeln könnte. Wir haben die Fähigkeit, Entscheidungen auch aufgrund von abstrakten Daten und Fakten zu treffen und unser Verhalten zu ändern. Immerhin diese Hoffnung bleibt ja noch: Dass wir einsehen, dass es einfach falsch, dumm und kurzsichtig ist, zu böllern. Und es freiwillig sein lassen. Immerhin zu diesem Appell konnten sich auch Politik und Verwaltung in Krefeld dann doch durchringen. Auch, wenn ich nicht mehr sonderlich viel von unserer Spezies halte: Vielleicht belehrt sie mich ja eines Besseren. Ich weiß, ich bin ein hoffnungsloser Optimist…