Demokratie ist ein schwieriges, ein kompliziertes und vor allem oft ein nerviges Ding. Viele Entscheidungen fallen nicht so aus, wie man es selbst gerne hätte. Viele sogar ziemlich nachweislich anders als gut wäre. Denn Interessengruppen beeinflussen WählerInnen oder ParlamentarierInnen mit viel Geld und ausgefeilten Marketingmethoden, mit Jobs, mit allerlei ausgefeilten Methoden. Noch schwieriger aber ist für Viele offenbar ein anderer Aspekt zu vertragen: Dass die Demokratie den oder die darin lebende(n) geradezu dazu zwingt, andere Meinungen zu ertragen und deren Äußerungen zu akzeptieren. Explizit auch (vermeintliche) Minderheitenmeinungen! Wobei hier eigentlich das Gendern vergleichsweise überflüssig ist, denn dieses Problem trifft erfahrungsgemäß zu 95 Prozent meine Geschlechtsgenossen – insbesondere, wenn sie die 20 seit geraumer Zeit hinter sich haben (also durchaus auch in meinem Alter!). Aber das nur nebenbei. Diese Sicht, eigene Meinungen durchzudrücken und andere lautstark totbrüllen zu wollen, wird immer wieder deutlich und zeigt sich auch in der immer schwieriger werdenden Streitkultur. Das zieht sich durch alle Lebensbereiche. Freunde und Familien sind kaum noch in der Lage zur Konsensfindung. In Talkshows treffen unvereinbare Positionen frontal aufeinander. Doch besonders krass ist das in den (a)sozialen Netzwerken. Meinungsbildung ist hier eigentlich digital. Jede Äußerung wird erst einmal auf ein „dafür“ oder „dagegen“ abgeklopft. Und je nachdem welcher Seite man selbst angehört unterstützen die Leute die Aussage dann bedingungslos, oder reißen sie bedingungslos auseinander. Gern natürlich auch, ohne Argumente überhaupt erst mal zu betrachten. Das ist bei Corona so, bei Flüchtlingen, beim Ukraine-Krieg und – besonders krass – beim Thema Klima. Und ja, es betrifft beide Seiten. Sehr viel deutlicher allerdings die Seite derer, die „zu mehr Gelassenheit“ aufrufen, die „die Wirtschaft nicht schädigen“ oder „den Menschen ihre Freiheiten lassen“ wollen. Sprich: der (borderline) „Klimaskeptiker“.
Auf Kriegsfuß mit der Wissenschaft
Nun ist das auf eine Art nicht verwunderlich, denn wer heute noch die Existenz der Klimakatastrophe, die Gründe dafür, sprich den anthropogenen Klimawandel, sowie die notwendigen Schritte, um die schlimmsten Auswirkungen abzumildern leugnet, der hat tatsächlich mit wissenschaftlichem Denken nicht viel zu tun. Wenige Themen in der Wissenschaft sind unter Fachleuten (!!) derart unumstritten wie eben diese Fragen. Unter den Forschern, die einem Peer-Review-Prozess standhalten, sind so wenige mit anderen Ansichten vertreten, dass ihrer relative Zahl ähnlich gering ist wie die der Zweifler an Evolution, Relativität oder Kontinentaldrift. Sprich: Es ist absoluter wissenschaftlicher Konsens. Natürlich gibt es Unstimmigkeiten in den Auswirkungen. Eine Simulation zeigt vielleicht drei Grad Erwärmung bei gleichbleibenden Emissionen bis Ende des Jahrhunderts an, eine andere sechs, die dritte fünf Grad. Aber DASS es eine signifikante Erwärmung gibt, ist unstrittig. Nun wird der ein oder andere einwenden, dass ich ja den Peer-Review-Prozess eingebracht hätte und Wissenschaftler hier eben andere Meinungen unterdrücken würden. Das ist aber nicht der Fall. Der Peer-Review bezieht sich allein auf methodische Dinge. Es gibt strenge Anforderungen an Experimente und Simulationen. Da spielen Dinge wie Reproduzierbarkeit (es muss immer dasselbe Ergebnis rauskommen, wenn ich die selben Ausgangssituationen herstelle. Egal wann und wo ich das Experiment durchziehe), Falsifizierbarkeit (eine Hypothese muss immer widerlegbar sein. Darum ist z.B. Götterglauben nicht wissenschaftlich, weil es eben keine eindeutige Widerlegung geben kann – und mithin auch keinen Beleg), sie muss methodisch sauber sein und beispielsweise Bias ausschließen und so weiter. Ist das gegeben, dann kann eine Arbeit veröffentlicht werden, auch wenn die INHALTE vielleicht dem Konsens widersprechen. Das ist ein GANZ wichtiges Prinzip, vermutlich DAS zentrale und elementare Grundprinzip, in der Wissenschaft. Wenn nun aber Menschen dieses Prinzip anzweifeln und „sich selbst was ausgeknobelt haben“, das all diesen Grundsätzen widerspricht, dann ist es schwer, da argumentativ etwas gegen zu sagen.
Von Naturgesetzen und Putin
Und hier kommen dann komische Ergebnisse raus. So gab es nun eben die Forderung meiner Freundin Björna, bekanntlich demokratisch gewählte Ratsfrau (für alle Schlaumeier: Nein, nicht direkt gewählt. Aber eben auf der Liste und damit vollkommen legitim gewählt) und das Gesicht von Fridays for Future in Krefeld, an BefürworterInnen des geplanten Surfparks, der in Krefeld gebaut werden soll, zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion. Eine solche dient im Endeffekt ja dem Austausch von Argumenten. Haben die Befürworter hier die besseren, dann haben sie nichts zu befürchten – haben sie die Schlechteren sollte jede(r) gute Demokrat(in) doch den Impuls haben, über die ganze Sache lieber nochmal nachzudenken. Eine solche Diskussion würde die demokratische Meinungsbildung also massiv voran bringen. So oder so. Nicht aber in den Augen der Befürworter. Nicht nur, dass sich von den Vertretern der SPD (die dafür gestimmt hat), der CDU (die selbiges getan hat), von Stadt und Verwaltung (Oberbürgermeister Frank Meyer, Stadtdirektor Markus Schön, die verschiedenen Dezernenten oder auch Sachgebietsleiter oder auch Investor Andreas Niedergesäss) niemand findet, der zu einer solchen Diskussion antreten mag (oder auch nur ablehnt), sondern auch der „Durchschnittsbürger“ läuft zur Hochform auf. So haben wir nun unter den Beiträgen auf der FFF-Seite, aber auch unter einem Artikel der Rheinischen Post zu diesem Thema Beiträge, die schlicht jeder Beschreibung spotten. Noch mit das Sinnvollste ist „Wenn wir es nicht bauen, macht es halt jemand anders.“ Mag stimmen, macht es aber nicht besser. Wenn ich einen Menschen ausraube ist die Einlassung „hätte ich es nicht getan hätte es der Nächste ganz bestimmt getan“ vor Gericht sicher nicht strafmildernd. Aus gutem Grund. Krasser sind aber Aussagen, dass diese Forderung undemokratisch sei, oder die Herausforderung zu einer öffentlichen Diskussion ihr nicht zustünde. Warum genau nicht? Keiner weiß es. Aber auch andere Dinge kommen plötzlich rein. So steckte ich auf der FFF-Seite in einer Diskussion mit einem dieser „Experten“. Der ging auf meine Seite und fand meinen Blog „Warum ‚demokratisch‘ beim Klimaschutz kein valides Argument ist“ und warf mir vor, undemokratisch zu sein. Ich fragte, ob er mehr als die Überschrift gelesen habe: Keine Antwort. Ich erläuterte dass es im Text darum geht, dass die Notwendigkeit der Maßnahmen eben im Endeffekt von Naturgesetzen vorgegeben würden und die eben nicht demokratisch seien. Dass man natürlich demokratisch beschließen könne, dass einem Klimaschutz egal ist, das allerdings dann einer gerichtlichen Überprüfung und diversen internationalen Gesetzen (Menschenrechtscharta zum Beispiel) Stand halten müsse. Dass aber eben die Bedarfe der Mitigationspfade nicht von demokratischen Prozessen, sondern Notwendigkeiten, eben Naturgesetzen, vorgegeben würden. Seine Antwort: Ich würde argumentieren wie Putin. Mal ganz davon abgesehen, dass das einfach frech ist: Ein Stück weit ist man da ausargumentiert. Was antwortet man jemandem, der so wenig inneres Verständnis für demokratische Prozesse selbst auf der einen, aber auch ihre Grenzen auf der anderen Seite hat? Es ist, in einem oft zitierten Bild, als säße man in einem Zug, der auf eine eingestürzte Brücke zufährt und man sagt: „Vollbremsung“ und ein anderer erzählt einem, dass man ja schon drei Prozent langsamer fahre und mehr nun wirklich nicht zu verlangen sei. Und wenn man sagt, dass das aber nunmal nachweislich nicht reicht und so eben jeder im Zug sterben würde, bekommt man den Vorwurf, das Verhalten sei undemokratisch. Nun, ja, genau das sage ich. Manchmal muss sich auch demokratische Meinungsbildung Naturgesetzen und damit höheren Regeln beugen. Full stop!
Demokratie ist auch Rechtsstaatlichkeit!
Aber natürlich gibt es noch weitere Dimensionen. Mir graut schon vor dem Moment, an dem die Entscheidung für den Surfpark getroffen wird, und sich dann Gegner entschließen, eventuell gegen eine solche Entscheidung zu klagen. Dann kommt wieder „gewählte Demokraten stimmen dafür und eine Minderheit ist der Spielverderber.“ Dass aber unserer Demokratie aus gutem Grund eine Gewaltenteilung innewohnt, dass diese aus historischen Lehren heraus implementiert wurde und die Politik immer von unabhängigen Gerichten überprüft werden kann und muss, dass dies eben ein elementarer, ein wichtiger, ja vielleicht der wichtigste, Teil unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung auf der einen, vor allem aber Rechtsstaatlichkeit auf der anderen Seite ist: Egal. Gerichte entscheiden nicht zuletzt aufgrund von Gesetzen, die eben demokratisch aufgestellt wurden. Zu diesen Gesetzen zählt, ob man selbst das gut findet, oder nicht, beispielsweise der Artikel 20a Grundgesetz: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Dieser Artikel war beispielsweise die Grundlage, warum die Klimaklage von Fridays for Future vor dem Verfassungsgericht erfolgreich war und der Bund nun beim Klimaschutzgesetz massiv nachbessern musste und muss. Man lasse sich das nochmal auf der Zunge vergehen: Das höchste deutsche Gericht hat geurteilt, dass die gewählten Repräsentanten einer der wichtigsten Demokratien der Welt die Verfassung bricht! Das ist nicht eine Übergriffigkeit der Kläger, die hier zu beobachten ist, sondern die Feststellung, dass der Wähler im Endeffekt von der Politik betrogen wird – von den höchsten Richtern unseres Landes! Aber es gibt auch andere interessante Artikel. Möglicherweise ließe sich aber auch argumentieren, dass ein massiver Beitrag zur Klimakatastrohe gegen Art. 26.1 verstößt, da er geeignet ist, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, weil Länder unbewohnbar werden und Menschen zu Flucht gezwungen werden. Und mit Sicherheit finden sich auch noch weitere Artikel, die sich bemühen ließen. Beispielsweise Artikel 14.2 „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Oh und wo wir gerade dabei sind: Natürlich ist Björnas Forderung oder besser Herausforderung total in Einklang mit Art. 17 Grundgesetz: „Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.“ Eine öffentliche Herausforderung zu einer Diskussion kann dessen ungeachtet ohnehin jede(r) an jede(n) schicken. Ob der/die annimmt ist ne andere Frage. Allerdings gilt es auch, anzusehen, von wem die Herausforderung kommt und wie das kneifen wirken könnte. Das aber nur am Rande und wo wir uns grad in den Paragraphen bewegten, was eigentlich nur sehr bedingt mein Metier ist. Der Punkt ist: Sogar wenn am Ende nur EIN(E) Kläger(in) da stünde, klagen würde und Recht bekäme, wäre das absolut demokratisch und rechtsstaatlich. Denn es würde ja überprüft, ob das Vorhaben mit geltendem Recht, der Basis unser aller Zusammenlebens, in Einklang ist. Und diese Gesetze wiederum wurde von Parlamenten, von gewählten Vertretern erlassen. Oder sie stammen aus der Feder der Gründer unseres Staates. Dann aber haben bislang 20 Parlamente seit 1949 diese unangetastet gelassen. Auch das ist ja eine demokratische Legitimation.
Demokratie ist auch und vor allem: Achtung der Meinung Anderer
Und damit sind wir im Prinzip schon fast am Ende. In der Demokratie geht es darum, die Meinung des Anderen zu tolerieren. Und hier ist eins ganz wichtig: Rechtschreibung. Toleranz wird mit einem „L“ geschrieben. Ich muss seine oder ihre Meinung nicht toll (mit zwei „L“) finden. Ich muss sie nur hinnehmen. Und idealerweise auch zumindest mal anhören und durchdenken. Ich kann sie dann ablehnen, aber die Äußerung ist (praktisch) immer gut, immer richtig und immer wünschenswert. Am besten hat das einer der größten Denker der neueren Menschheitsgeschichte, der Franzose Voltaire, auf einen Punkt gebracht: „Ich teile nicht Deine Meinung, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Du sie äußern darfst“. Das und nichts sonst ist Demokratie auf ein paar Worte herunter gebrochen. Danach kann man trefflich diskutieren, auch streiten, man kann sich sogar beschimpfen. Aber der Vorwurf der Demokratiefeindlichkeit bei Meinungsäußerung hat grundsätzlich erst einmal nichts in solchen Diskussionen verloren. Ja, es gibt Ausnahmen. Wenn es darum geht, dass der oder die Gegenüber aktiv die Meinung Anderer einschränken oder verhindern will. Oder ihnen das Recht auf Leben oder Gesundheit abspricht. Dann sind wir beim Toleranzparadoxon und dann wird es tricky. Aber die Forderung nach einer öffentlichen Diskussion erfüllt das ebensowenig wie die Aussage, dass sich eben natürliche Prozesse nicht den Regeln demokratischer Meinungsbildung beugen. Sie passieren einfach. Nach Ursache und Wirkung. Selbst wenn wir alle das anders wollen. Und auch das müssen wir bei unsren demokratischen Prozessen eben bedenken und berücksichtigen. Demokratie ist ein oft schwieriges, ein anstrengendes, ein oft auch sehr frustrierendes Ding. Aber eins, in dem auch Minderheitenmeinungen eine Berechtigung haben. Umso mehr, wenn sie von jungen Menschen geäußert werden, die noch sehr viel länger mit den Folgen heutiger Entscheidung leben müssen als die Rentner, die heute den politischen Diskurs nur all zu oft prägen. Gerade den Älteren würde hin und wieder ein gewisses Maß an Gelassenheit ganz gut tun. Dann klappt es vielleicht sogar noch mit dem Klima!