Wenn Klimarettung an einer Frisur zu scheitern droht

Ist Alkoholismus eine Lösung? Das frage ich mich aktuell immer häufiger, wenn ich den Zustand der Welt betrachte. (Nein, nicht wirklich, keine Sorge. Eher etwas zynisch!). Denn vermutlich ließe sich in einem Zustand ständigen geistigen „ausgeschaltet seins“ wesentlich besser ertragen, was in der Welt los ist. Gefühlt ist es egal, wo ich hinschaue: Sobald der Blick über die eigenen vier Wände hinaus geht (Ich war nie so dankbar für einen Menschen in meinem Leben, wie aktuell für Dich, Björna, meine Freundin, auch wenn ich es vielleicht nicht immer so zeige, wie Du es brauchen würdest! ;*), ist da gefühlt nur eine üble Mischung aus Wahnsinn, Dummheit und Ignoranz. Dinge, die Hoffnung machen, muss man mit der Lupe suchen. Ob Ukraine-Krieg, Klimakrise, gesellschaftliche Entwicklungen, Wahlen, politische Entscheidungen und Aussagen (zu einigen habe ich hier ja schon geschrieben), oder ganz banal das Hamstern von Nudeln, Mehl und Öl – schon wieder. Die neueste Blüte ist jetzt aber die Ausladung der Musikerin Ronja Maltzahn und ihrer Band durch Fridays for Future (FFF) Hannover. Für alle, die es nicht mitbekommen haben sollten: Maltzahn ist eine Musikerin die – ich kenne sie und ihre Werke nicht – nach meinem Verständnis sehr für Toleranz, Nachhaltigkeit und Frieden steht. Kurz: Sie verkörpert wohl (nochmal, im Endeffekt Hörensagen!) so ziemlich alles, wofür FFF steht. Entsprechend sollte sie mit ihrer wohl sehr multikulturellen Band bei der großen Klimademo am Freitag auftreten. Nun trägt diese blonde, attraktive junge Frau Dreadlocks, also viele dünne, etwas verfilzte Zöpfe. Eine Frisur, die historisch auf afrikanische und indische Traditionen zurückgeht und in der Bürgerrechtsbewegung der USA in den 60er Jahren eine starke politische Bedeutung erlangte. Auch zu Zeiten der Sklaverei war sie wohl ein Stück „schwarzer Kultur und Identität“. Für die FFF-Gruppe in Hannover reichte das aus, die Band auszuladen – und das auch sehr kurzfristig. Begründung: Die Dreads auf einem weißen Kopf seien eine kulturelle Aneignung und damit ein Angriff auf die BPoC (Black, People of colour)-Community.

Leute, bleibt auf dem Teppich, wir reden über Haare!

Nun möchte ich zwei Dinge vorausschicken: Erstens: Heute las ich ein Interview mit der Integrations-Aktivistin Canan Topçu (https://www.watson.de/leben/die%20andere%20perspektive/855065197-canan-topcu-ueber-antirassismus-tabu-woerter-und-opfer-taeter-narrative), das ich praktisch Wort für Wort wirklich hervorragend, weil angenehm unaufgeregt und doch klar finde. Darin sagt sie viele sehr interessante Dinge. Am wichtigst aus meiner Sicht: (Sinngemäß) Die Kommunikationstheorie sagt, dass das gesprochene Wort selbst nur einen Bruchteil der übermittelten Information ausmacht. Der Rest sind Gestik, Mimik, Betonung und nicht zuletzt: Kontext. Sonst würde übrigens Ironie als Stilmittel gar nicht funktionieren. Bedeutet in diesem Kontext: Ein Wort sollte nicht immer auf die Goldwaage gelegt werden. Wichtiger als wie es konkret gesagt wird, ist wie es gemeint ist. Und das möchte ich ausdrücklich auch hier in Anspruch nehmen. Mir ist gerade wichtiger, die generelle Botschaft gut zu transportieren, als in jedem Wort politisch korrekt zu sein. Ja, das ist wichtig. Auch mir. Aber manchmal führt zu korrektes Formulieren eben auch dazu, dass die eigentliche Botschaft etwas untergeht. Und ich gebe zu: Gerade in dem Thema weiß ich aktuell gar nicht, was die derzeit optimale Terminologie ist: „Farbige“, „Menschen mit afrikanischem Migrationshintergrund“, „PoC“, „BpoC“, Himmel, es wird sogar in Deutschland von BiPoC gesprochen. Aber machen Indigene (das „i“ in BiPoC steht für „indigenous) in Deutschland einen relevanten Teil der Bevölkerung aus? Oder ist das nicht eher eine unreflektiert aus Amerika übernommene Terminologie (Kommt auch von Topçu)…?! Zweitens: Generell ist es die Aufgabe der Betroffenen, sich darüber zu äußern, was sie schmerzt und was nicht. Wenn mir einer auf den Fuß steigt, dann entscheide ich, ob es echt weh tut, oder nicht. Nicht der, der drauf latscht. ABER: Diese Sicht hat auch Grenzen. Wenn ich sehe, dass jemandem ein Dreijähriger mit 15 Kilo auf den Fuß steigt und der (also der Erwachsene) fällt und macht Rollen wie Neymar der… öhm… naja… gegen einen Grashalm gelaufen ist, also kurz vor Einschläferung eben, dann kann ich durchaus auch ein Stück weit objektiviert sagen: „Hey, entspann Dich mal. So ein Drama kann es nun nicht sein.“ Klar gibt es immer totale Ausnahmen wo es wirklich derart unglücklich gelaufen ist, dass am Ende doch etwas Schlimmes passiert ist. Als Beispiel hat das „Opfer“ die Glasknochenkrankheit und jetzt nen gebrochenen Fuß. Aber das sind halt seltene Ausnahmen. Ebenso gibt es das sicher auch im Kontext der kulturellen Aneignung. Sicher gibt es Menschen, die sich davon getroffen fühlen, wenn Weiße Dreads tragen. Aus welchem Grund auch immer. Es gibt ja wohl in Hannover eine Beschwerde, die in diese Richtung ging und Ursache der Aktion war. Nur ist das eine Mehrheitsmeinung? Oder ist es nicht vielmehr eine Einzelmeinung, die nicht die gesamte gesellschaftliche Wahrnehmung steuern sollte? Und ja, ich mag auch falsch liegen in meiner Beurteilung. Ganz grundsätzlich lässt sich, wenn ich im Bild bleibe, aber recht objektiv feststellen: Ein Dreijähriger auf dem Fuß bringt Menschen im Normalfall nicht in den Rollstuhl. So ähnlich sehe ich es hier auch. Unter dem Strich reden wir von Haaren. Von einer Frisur. In einer globalisierten Welt. Und generell bin ich der Meinung, dass nichts so gut Rassismus entgegenwirkt, wie eine Positivierung der Werte, Ansichten und auch des Erscheinungsbilds anderer Gruppen. Damit will ich niemandem das persönliche Schmerzempfinden, das überdies immer sehr subjektiv ist, absprechen. Aber manchmal müssen Dinge auch in einen höheren Kontext gesetzt werden. Es gibt außerdem Millionen Gründe für die Wahl einer Frisur. Meist geht es einfach um persönliche ästhetische Vorstellungen. Es kann eine Hommage an ein Vorbild sein, es kann eine vergleichsweise pragmatische Entscheidung sein, indem die eigenen Haare eh nie das machen, was man will und man sie so „bändigt“, und so weiter. Es kann aber natürlich auch ein politisches Statement sein. Generell muss ich aber sagen: Wenn jemand bei einer vergleichsweise großen Bewegung mit einem (speziell in der eigenen Wahrnehmung) extrem wichtigen Ziel, das im Endeffekt den Fortbestand der Menschheit (zumindest so, wie wir sie heute erleben) sichern soll, wegen der Frisur ausgeladen wird, dann finde ich das rein von der Wertehierarchie schwierig. Das ist eine Reduzierung des Menschen auf eine totale Nebensächlichkeit und überdies eine extreme Übergriffigkeit auf eine der persönlichsten Entscheidungen, die ein Mensch trifft: Das eigene Erscheinungsbild. Ja, ich verstehe die grundsätzliche Idee hinter „kultureller Aneignung“. Aber ich bin der Meinung: „Endziel“ (bitte nicht als Nazi-Terminologie zu lesen, sondern einfach als: Das Ziel ganz am Ende aller Entwicklungen!) einer in dieser Hinsicht sehr linken Gedankenwelt ist es doch, dass es in einigen Jahren vollkommen egal ist, wo jemand herkommt, wie er oder sie aussieht, wie reich, wie arm, wie hell oder dunkel. Dass alle Menschen vollständig gleich an Rechten und Möglichkeiten sind. Wenn jetzt der Weg dahin ist, bestimmten Gruppen einzelne Frisuren zu „verbieten“, dann muss ich sagen, bin ich rein logisch raus. Zumal auch die Frage zu klären wäre, bis wohin ich das ziehe. Wenn eine Person wirklich tief dunkelhäutig ist (ist das so korrekt? Ich gestehe: Ich WEISS aktuell nicht, wie ich das richtig ausdrücke. Sollte das nicht OK sein bitte ich, es mir nachzusehen) und hier Kinder mit Weißen bekommt, dann „dürfen“ die fraglos Dreads tragen. Nun kriegen sie mit weiteren Weißen weitere Kinder und das geht dann über mehrere Generationen so weiter: Ab wann dürfen die Kinder dann keine Dreads mehr tragen? Und darf vielleicht die Schwester, bei der die Pigmentierung etwas stärker ist, sie tragen, der Bruder, bei dem Gene etwas weniger durchkommen aber nicht?! Schwierig. Das gilt übrigens auch, wenn die Wahl der Frisur politisch ist. Dann will vielleicht jemand einen Kampf kämpfen, der nicht seiner/ihrer ist. Und ja, diese Person versteht die dahinterliegenden Probleme von strukturellem und Alltagsrassismus im Normalfall nur sehr bedingt. Trotzdem ist die Intention dahinter eben dann eine Gute und maximal auf einer Ebene falsch, auf der die Ausladung von FFF Hannover IMO auch falsch ist: Die gute Absicht weit zu überziehen. Und schon beißt sich die Katze mit Karacho in den Schwanz. Und eins ist auch noch ganz wichtig: Ja, wir haben auch in Deutschland immer noch große Probleme mit (strukturellem) Rassismus. Aber wir sind dennoch nicht die USA. Schon gar nicht die der 60er. Die Welt dreht sich weiter und Werte, Symbole und politische Aussagen aller Couleur wandeln sich mit der Zeit. Ein Che Guevara-Shirt wird von heutigen Jugendlichen auch ganz anders wahrgenommen, als von der Studentenbewegung der 68er. Gleiches gilt für Palestinensertücher oder so. Vieles, was heute ein modisches Accessoire ist, hatte früher eine tiefe Bedeutung. Ja, das kann man kritisieren, wenn es um Geschäftermacherei geht. Oft ist es aber einfach ein Eingehen in den persönlichen Stil der Menschen. Gleichsam eine natürliche Integration des ehemals Fremden in die eigene Lebensrealität, sogar ein Stück weit in die eigene Persönlichkeit, die nicht zu knapp auch mit der Mode und dem äußeren Erscheinungsbild wechselwirkt. Es ist also – wie gesagt, wenn wir nicht von Verkaufen, sondern von echter Adaptation durch Menschen reden – Integration im allerbesten und allerpositivsten Sinne. Diese Überführung des ehemals Fremden ist ein wichtiger Schritt, es ist geradezu die Definition einer lebendigen Welt.

Schuster bleib bei Deinen Leisten!

Das aber ist nur eine persönliche Meinung und jeder ist frei, das anders zu sehen. Generell darf auch jeder die Meinung haben, dass Dreads auf weißen Köpfen nichts zu suchen haben. Das ist ein freies Land und auch diese Meinungen haben dennoch eine total Berechtigung in sich. Schlimmer finde ich etwas Anderes: Es ist einfach dumm! Die Folgen, die dieser Move, sich als FFF-Gruppierung vergleichsweise öffentlich mit diesem Thema hinzustellen, jetzt hat, ein Shitstorm, an dem Twitter vermutlich so viel Strom durchbläst wie eine mittelgroße Volkswirtschaft in 20 Jahren, hätten den Verantwortlichen bewusst sein müssen. Sie sind vermutlich durch die Bank „digital Natives“. Sie kennen Soziale Netzwerke besser als ich! Noch schlimmer finde ich aber, dass in den anderen Ortsgruppen zwar keine Verantwortung dafür besteht, Distanzierungen aber gar nicht vorhanden oder bestenfalls wachsweich sind. Viele Orgagruppenmitglieder unterstützen die Aktion und blockieren die, die klar sagen wollen: Bei uns ist jeder willkommen – ob mit oder ohne Dreads. Und hier sind wir beim Problem: die FFF-Bewegung verliert (nicht nur) mit dieser Aktion ihre politische Unschuld. Zu Beginn war es eine Bewegung mit ein paar ganz knackingen Forderungen, die sich auf den Tenor: „Hört auf die Klimawissenschaftler!“ zurückführen lassen. Kohleausstieg, Reduzierung der CO2 (und sonstigen Klimagas-)Emissionen und so weiter. Das hat teilweise Millionen Menschen an einem Tag auf die Straße gebracht. Es war am Ende ein Minimalkonsens, bei dem locker die Hälfte der Bevölkerung mehr oder minder mitgehen konnte. Kritik war selten inhaltlich, sondern entbrannte sich eher an Schulpflicht und deren Missachtung oder an konstruierten Fehlern wie angeblichem Müll. Mittlerweile aber scheint die Bewegung bestrebt zu sein, eine Art politischer Vollversorger zu werden. Inklusive Positionierung für Frieden, für LGBTQ, für die Ukraine, für Corona-Maßnahmen, für Integration und so weiter. Nun sind die allermeisten dieser Themen zumindest in der Gruppe, die generell für die Demos in Frage kommen, mehrheitsfähig. Trotzdem gibt es immer Leute, die bestimmte Dinge ablehnen und in der Folge „raus“ sind. Der eine sieht in der Ukraine einen Staat, der natürlich auch seine Fehler hat. Der nächste ist gegen LGBTQ-Rechte, der Dritte ist gegen Corona-Maßnahmen. Nun war das bislang selbst in der Summe nicht dramatisch. Doch in der Frage der kulturellen Aneignung geht man nun auf ein Gebiet, das selbst in ultralinken Kreisen durchaus umstritten ist, so weit ich das verfolgen konnte. Und spätestens da wird es eben kritisch für eine Bewegung. Platt ausgedrückt: Durch eine klare Positionierung gegen diese Aneignung, wie sie nun erfolgte, fühlen sich eine Hand voll BPoC wohler bei den Demos (was schön und wünschenswert ist, nicht missverstehen!). Und ich gewinne vielleicht zwei Dutzend ganz Linke dazu, die das gut finden und unterstützen. Dafür aber verliere ich dann 500 oder 1000 und mehr Leute, die sich der „politischen Mitte“ zuzählen und hier radikale Tendenzen sehen, die sie nicht unterstützen wollen. Oder wie es eine Freundin sagte: „Ich kann doch nicht bei Corona-Schwurblern sagen, dass man einfach nicht mit Rechten marschiert und hier mit einer Bewegung auf die Straße gehen, die eine Sache propagiert, die ich selbst als ausgrenzend und (borderline) rassistisch empfinde, nämlich Leuten aufgrund ihrer Hautfarbe eine Frisur zu verbieten.“ (Das Zitat ist eigentlich nicht ganz so gefallen. Ich habe eine längere Nachricht nur etwas destilliert. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass sie damit einverstanden ist. 😉 ).

Bei aller Überzeugung: Es braucht politischen Spürsinn

Und da sind wir dann beim Problem. Natürlich lässt sich ohne große repräsentative Studie nicht nachweisen, aus welchen Gründen wer zu einer Demo geht, oder nicht. Aber bei den vergangenen globalen Klimastreiks waren von fast allen Demos beeindruckende Zahlen zu hören. In kleineren Großstädten waren es dann mal 3000 bis 6000, in größeren auch bis zu 50.000 Leute. Am Freitag waren es in Krefeld am Ende knapp 300 bei der Abschlusskundgebung und gut 150 bei der Fahrraddemo zuvor (ich habe beide Male selbst gezählt). Klar lassen sich jetzt viele Gründe finden: Die Corona-Situation hält immer noch viele Leute gerade in der Clientel derer, die wissenschaftlich denken und Mahnungen von Experten ernst nehmen, davon ab, größere Menschenansammlungen aufzusuchen. Der Ukraine-Krieg ist derzeit sehr dominant in den Medien und der Wahrnehmung der Menschen und überlagert andere Probleme, auch das Klima-Thema. Die Bewegung muss sich auch von der langen Corona-Pause erholen und alte „Gewohnheiten“ erst wieder aufbauen. Speziell in Krefeld kommt auch dazu, dass Fahrraddemos nie so viele Leute ziehen, wie normale. Hinzu kommt, dass die Demos sonst in der Innenstadt sind: Man kommt gut hin (Startpunkt Bahnhof) und weg (Endpunkt normal Rathaus). Diesmal war der Startpunkt im Stadtwald (wo man mit dem Fahrrad erstmal hinkommen musste) und der Endpunkt am Elfrather See. Sogar die nächste Bahnstation ist da zwei Kilometer weg. Es gibt also viele Gründe, warum es diesmal weniger waren als früher – aber sicher blieben auch einige Dutzend wegen des Falls Maltzahn weg. Einige äußerten das sogar explizit in sozialen Medien. Und das ist ein Problem für die Klimabewegung als solches.

Die Welt ist heute anders. Es fällt auf alle zurück!

Aber das Ding geht ja noch weiter: Die Klimaschutzbewegung um FFF hatte eben zu Beginn klare Standpunkte. Es gab in diesen im Prinzip keinen Dissens. Praktisch alle Experten gleich welcher politischen Couleur konnten sich dahinter stellen und waren einverstanden, mit FFF in einem Atemzug genannt zu werden. Es gab und gibt auch durchaus sehr konservative Schwestergruppierungen. Bestes Beispiel: Christians for Future. Generell kann man sagen, dass die Kirchen, speziell die Katholische, zum Konservativsten zählen, was unsere Welt so hergibt. Im Klimaschutz aber sind sie sehr progressiv, wie nicht zuletzt die Bischofskonferenzen und sogar der Papst in seiner Lautdato Si sehr deutlich sagten. Wenn jetzt aber zu viele Nebenkriegsschauplätze aufgemacht werden, dann macht es das diesen Menschen und Organisationen schwer, sich dahinter zu stellen. Wenn beispielsweise FFF jetzt offen für Homo-Ehe, Abreibung und so weiter eintreten sollte, dann hätte die katholische Kirche beispielsweise ein Problem, bei den Demos aufzulaufen oder dazu aufzurufen, wie sie es derzeit durchaus immer häufiger tut. Und mit der Frage der kulturellen Aneignung ist es ähnlich. Ich lebe wirklich in einer Bubble, die stark alternative und politisch „linke“ Themen (auch wenn ich mich mit diesen politischen Richtungsbezeichnungen echt schwer tue und mich selbst sehr ungern überhaupt in einem Rechts-Links-Spektrum verorte!) hoch hält. Trotzdem würde ich die Zahl der Leute, die diese Position, also „keine Dreads auf weißen Köpfen“, wirklich GUT finden auf unter fünf Prozent schätzen. Realistisch ist es, nehme ich die weite Welt außerhalb dieser Bubble dazu, wohl näher bei einem Prozent oder darunter. Damit ist kein Staat zu machen. Zumal, wenn ich locker 50 Prozent (eher deutlich mehr) ab der politischen Mitte bestenfalls kopfschüttelnd da stehen lasse, sie mir schlimmstenfalls zu Gegnern mache und den Ideologen, die Weltfremdheit, Extremismus und politisches Schubladendenken vorwerfen, Schubkarrenweise futter biete. Und das könnte am Ende dazu führen, dass diese Positionierung in einem totalen politischen Nebenkriegsschauplatz auf die gesamte Klimabewegung zurückfällt. Bis hin zu Klimaforschern und Experten, deren rein faktische Thesen und Ergebnisse abgebügelt werden mit einem lapidaren „Jaja, und meine Frisur magste sicher auch nicht“. Gefährlich!

Als würde Greta Altreifen im Vorgarten verbrennen

Noch krasser ist, dass wir hier von einer Ortsgruppe reden. Bei allem Verständnis für jugendlichen Elan (und das muss man bei aller Kritik bedenken: FFF wird zu ganz großen Teilen von Leuten um die 20, oft deutlich jünger, organisiert! Die haben hin und wieder auch mal verdient, dass man ihnen ihre Jugend auch zu Gute hält!), hat hier eine Gruppe von vielleicht zehn Leuten ein Statement abgelassen, das auf die gesamte, nach Hunderttausenden zählende, „Klimabubble“ zurückfällt. Und zu der zählen durchaus auch Menschen, die in anderen Themen als Klima alles andere als „Links“ denken. Trifft in durchaus einer relevanten Zahl der Themen auch auf mich selbst zu. Und auf viele meiner Freunde und Bekannten. Zumindest fällt es aber auf zig, vermutlich hunderte, Ortsgruppen, in denen die Meinungen oft ganz andere sind, zurück. Gleichzeitig scheuen sich diese aber, sich zu deutlich zu distanzieren. Vielleicht, weil in den Gruppen immer auch Leute sind, die es befürworten und eine Distanzierung blockieren, vielleicht auch, um in der Menge der Gruppen nicht als Nestbeschmutzer dazustehen. Man tritt ja nicht dem Teamkameraden vor das Schienbein. Damit ist die stärkste Form der Distanzierung, die ich bisher gesehen habe: „Das ist FFF Hannover. Wir wollen uns dazu nicht äußern, aber wir haben dieses Statement nicht getätigt“. Ich glaube, diese Stellungnahme habe ich neulich im Duden gefunden. Neben dem Begriff „Wachsweich“. Und so bleibt meiner Einschätzung nach ein Schaden zurück, der zumindest für FFF Deutschland nicht größer sein könnte, wenn Greta Thunberg herself im Vorgarten Altreifen verbrennen würde. Wenn FFF wieder zu dem Schwung zurückkommen will, den die Bewegung vor Corona hatte, dann gibt es dazu in meinen Augen nur einen Weg: Zurückbesinnung auf die Ursprünge, die Kernkompetenzen. „Kohlekonzerne – baggern in der Ferne – zerstören unsere Umwelt – nur für n Batzen Geld – Worin wir unsre Zukunft sehen – Erneuerbare Energien“. Dieser Gesang bei den Demos fasst es gut zusammen. Alle anderen Positionierungen, so gut und richtig sie in der eigenen Wahrnehmung auch sein mögen, gehören da nicht rein. Bei Dingen, die klar und unstrittig mit internationalem Recht wie der Menschenrechtscharta zusammenhängen, kann man sicher noch ne Ausnahme machen. Sie sind am Ende ausreichend konsensfähig. Aber auch hier würde ich persönlich zur Vorsicht raten, wenn die Herleitung zu viele Ecken umfährt. Das ist leider, wie unsere Welt heute ist. Das kann man bedauern, beschimpfen, beweinen, aber man muss in dieser Welt leben. Bei FFF geht es vor allem Anderen darum, dass heute junge Menschen in ihrer Rentenzeit noch in einer lebenswerten Welt leben können – und ihre Enkel ebenso. Dafür muss man in dieser durch und durch politischen Welt mal eine Kröte schlucken. Und wenn das bedeutet, dass eine Sängerin einer multikulturellen Band eine Frisur trägt, die ich als nicht angemessen erachte, während sie gleichzeitig inhaltlich für so ziemlich alles steht, was ich gut finde, dann heißt es eben: Get over it. Wie oben gesagt: Schuster bleib bei Deinen Leisten. Wenn sich die Klimabewegung weiter in dieser Art thematisch zersplittert nimmt sie sich von großen Teilen der Bevölkerung aus. Der „kleinste gemeinsame Nenner“ ist generell für niemanden komplett zufriedenstellend, das verstehe ich. Aber er ist geradezu ein Imperativ einer echten Massenbewegung. Je ausdifferenzierter es wird, desto größer wird automatisch der Dissens und eine Massenbewegung zerfällt zu Einzelgrüppchen. Die aber werden weder Politik noch Industrie maßgeblich beeindrucken. Eine Demo mit 100.000 Leuten knallt. 1000 Demos mit 100 Leuten lassen eher müdes Lächeln aufkommen. Aber hey, 1.000.000 points for effort! Das kann und sollte keinesfalls das Ziel von FFF sein. Also ist es zwingend, sich auf die Ursprünge zu besinnen. Sonst…. Nun… wenn ich das ausschreibe weint meine Freundin.

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