Von Performance-Kunst und Klimavandalismus

Kunst darf praktisch alles – zumindest in der westlichen Welt. KünstlerInnen karikieren Kirche und Religion, Staat, Gesellschaft. Sie verwandeln Gebäude oder Brücken wie der berühmte Christo mit seiner Reichstagsverhüllung, sie bringen sich selbst in Gefahr, wie die Performance-Künstlerin Marina Abramovic, sie schockieren und rütteln auf. Und das im Falle der Performance-Kunst mit Aktionen, die im Normalfall nicht dauerhaft sind. Man muss eigentlich dabei sein. Schon ein Foto bringt eigentlich nur einen Teil der Performance rüber. Dabei ist Performancekunst im Normalfall sehr gesellschaftskritisch oder politisch. KünstlerInnen gestalteten zum Beispiel das, was wir heute als [englisch] „die in“ (also das sich selbst als Tote auf öffentlichen Plätzen postieren) kennen oder spielten mit Tier- oder Kunstblut, das aus diversen Gegenständen oder Orten lief. Performance-Kunst soll aufrütteln, sie soll den Finger in die Wunde legen – gern auch durch das Schaffen von Wunden beim Künstler/der Künstlerin selbst. Und Performance-KünstlerInnen sind darum durchaus geschätzt, auch wenn sie KritikerInnen und KunsthistorikerInnen an ihre Grenzen bringen. Denn die Kunst ist nicht speicherbar. Ist die Performance einmal aufgeführt, wird sie im Normalfall nicht wiederholt. Ich habe nur ein Video – wenn überhaupt. Trotzdem ist es Kunst, ist positiv besetzt, ist Kultur, ist kreativ und positiv. So lange sie das Label Kunst hat.

Wichtig: Nenn Dich Künstler, nicht Aktivist!

Nun sind KünstlerInnen im Normalfall auch ein Stück weit AktivistInnen. Sie leben sehr oft einen etwas anderen Lebensstil, schauen anders auf die Welt. Ich kann mich ungewöhnlich kleiden und verhalten und wofür ich normalerweise kritisiert werde, weil ich nicht der Norm entspreche, das ist ein Ehrenmal wenn ich Künstler bin. Ob Performance, Musiker oder Schriftsteller: Ich darf das weil es ein Teil meiner Kunst im eigentlichen Sinne ist, wie ich auftrete (wenn ich mich so definiere). In ähnlicher Form lebt das außerhalb der Kunst eigentlich höchsten die Queere Community aus. Viele KünstlerInnen wollen damit auch viel Kritik ausdrücken. Auch und besonderes an unserer Gesellschaft, unserer Wirtschaftsform, an Kapitalismus oder Materialismus. Vor allem geschieht das durch die Kunstwerke und Performances, nur bedingt durch Kleidung und Habitus. Aber in jedem Fall halt als Kunst. Wenn ein Künstler oder eine Künstlerin ein berühmtes Gemälde in die Performance einbauen würde, wenn man, sagen wir mal, van Goghs Sonnenblumen, sicher hinter ihrem Bilderrahmen verwahrt, mit Sand berieselt, um zu symbolisieren, dass alle Blumen in Zeiten der Klimakrise vertrocknen werden, dann ist das Kunst, dann ist das eine wichtige Aussage, zu der sich hochdurchgeistigte Menschen in abgehobenen Sendungen die Köpfe heiß diskutieren – natürlich ohne emotional zu werden, sondern sehr zurückgenommen und distinguiert – und dabei nachdenklich mit dem Zeigefinger an die Schläfe klopfen. So lange sich die Person, die es tut, als PerformanceküntlerIn definiert.

Gleiches ist nicht gleiches. Die Grenzen sind willkürlich

Aber was passiert, wenn jemand diese Performance aufführt und sich selbst nicht als KünstlerIn definiert? Was, wenn diese Person sich als AktivistIn definiert? Wenn die Performance in diesem Sinne nicht Selbstzweck ist, sondern Mittel zum Zweck? Die distinguierten Herrschaften sind plötzlich weit weniger amused. Das Feuilleton schwelgt schlagartig nicht mehr in der aufrührerischen Qualität der Botschaft, die ja so wichtig ist. Vielmehr ist es ein Akt des Vandalismus’. Die Kunst wird, so der Schluss, geringeschätzt und zerstört. Es ist beinahe Terrorismus, da sind sich die Beobachter einig. Aber ist das so? Würde ein Beuys, falls er noch lebte, eine Abroamovic, oder ähnliche bekannte Personen der Kunstszene ein sicher hinter Glas verborgenes Kunstwerk mit Tomatensuppe oder Kartoffelbrei bewerfen, sich daneben ankleben und ein Statement abgeben – in gewählten Worten – dass wir doch nicht ernsthaft Millionen für Kunstwerke ausgeben könnten, während wir gleichzeitig die Lebensgrundlage aller Menschen regelrecht verdorren lassen, während das Essen, was er oder sie hier verwendet hat, um das Kunstwerk symbolisch zu entweihen, eben keine Menschen mehr ernähren könne, es wäre eine gefeierte Performance-Kunst. Umso mehr, wenn es schockierend, scheinbar spontan, ohne Anmeldung geschähe. Im MoMa oder einem ähnlich berühmten Haus, würden sie damit vielleicht sogar eine eigene Darstellung – wenn auch nur per Foto oder Video – ernten. Tun aber AktivistInnen, die sich nicht als KünstlerInnen definieren, genau das gleiche und sind dabei etwas weniger weltmännisch und distinguiert in der Kommunikation, wird aus einer gefeierten Kunstperformance plötzlich eine Straftat und eine unverzeihliche Entweihung des Kunstwerks. Dabei ist die Handlung, die Intention und sogar der künstlerische Gedanke dahinter identisch. Nur die Personen, die es machen, sind andere. Nicht die Tat ist also das eigentliche Problem, sondern der Kontext.

Kommunikation ist immer auch Kontext

Und hier sind wir beim Problem. Konstext macht in der Kommunikation einen großen Teil aus. Dieselbe Botschaft ist ganz anders, wenn sie in anderem Kontext gemacht wird. Klimaschutz wird immer noch von vielen Menschen als spinnerte Idee einiger Weltverbesserer wahrgenommen, die lieber wieder in der Steinzeit leben würden. Sicher wird es auch in der Klimaszene Menschen geben, die das tatsächlich toll fänden. Es gibt überall Spinner. Aber die grundsätzliche Zielrichtung der Klimabewegung ist etwas ganz Anderes. Es geht um einen Prozess, eine transformative Kraft. Es geht um eine durchaus kreative Neuausrichtung unserer Gesellschaften. Fridays for Future, Scientists for Future, Letzte Generation und wie sie alle heißen sind keine destruktiven Kräfte. Im Gegenteil! Es sind Menschen, die (wie gesagt, von einigen Ausnahmen abgesehen) sehr kreative und zukunftsweisende Ideen haben. Und oft sind sie sogar durchaus handfest ökonomisch bewegt. Die sogenannte Klimabubble enthält ja durchaus Menschen wie Uniprofessor Stefan Rahmsdorf, den Chefmeteorologen des ZDF, Özden Terli, den Uniprofessor und TV-Wissenschaftler Harald Lesch oder Maja Göpel, die als Ökonomin Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung war und so weiter und so fort. Das Interessante ist: In der wissenschaftlichen Welt ist die Zahl derer, die den (anthropogenen, also menschengemachten) Klimawandel anzweifeln, sehr, sehr gering. Generell lässt sich auch im privaten Umfeld feststellen: Je gebildeter Menschen sind, desto klimabewegter sind sie im Schnitt auch. Denn man ist in der Lage, Zusammenhänge zu sehen und entsprechend auch, die Folgen abzuschätzen. Wohlgemerkt: Das ist eine statistische Betrachtung. Im Einzelfall heißt das nicht, dass jemand, der nicht klimabewegt ist, darum automatisch ungebildet sein muss. Es gibt andere Gründe: Gesellschaftliche Prägung, Peers, die ganz anders bewegt sind oder schnöde mangelnde Lust, sich mit den Themen differenziert auseinander zu setzen.

Intelligenz und Bildung: Weitere Parallelen

Nun sind Intelligenz und Bildung auch notwendige Eigenschaften, um die Welt so abstrakt zu sehen, wie es KünstlerInnen tun. Generell sind es Menschen, die eine ganz andere Sicht auf die Welt offenbaren und Gegenstände, Orte, Gebäude und so weiter ein, zwei Abstraktionsebenen höher und in einem größeren Kontext betrachten. Auch das sind also durchaus Schnittmengen zwischen Kunst und Aktivismus. Auch hier wieder: Natürlich gibt es KlimaaktivistInnen, die nur stumpf nachplappern, was ihnen andere Menschen sagen. Aber im Schnitt sind es eben eher die intelligenten und gebildeten Jugendlichen, aber auch Erwachsenen, die sich in der Klimaszene engagieren. Also: Wir haben KünstlerInnen oder AktivistInnen. Beide Gruppen haben eine klare Botschaft. Beide haben ein Ziel. Beide betrachten die Welt ein Stück weit „über den Tellerrand hinaus“. Beide sind auch im Schnitt vermutlich überdurchschnittlich intelligent und gebildet. Warum also wird die Kunstaktion, die als solche gelabelt ist, vom Feuilleton gefeiert, die aktivistische Aktion hingegen zerrissen? Warum gelten die „letzte Genereation“-AktivistInnen vielen als ZerstörerInnen und TerroristInnen?

Niedliches Haustier oder böser Eindringling

Nun, ich denke, das erklärt sich gut, wenn man es mit der Tierwelt vergleicht. Nehmen wir Waschbären. Die meisten Menschen finden Waschbären sehr putzig. Sie gäben grundsätzlich auch mal ein nettes Haustier ab. Sie sind flauschig und nett anzuschauen. Wenn nun also ein Waschbär als Haustier in meinem Haus lebt, dann lebt er im Grundsatz innerhalb der Regeln des Besitzers. Er bekommt Futter, wenn der Besitzer das will. Er darf in bestimmte Räume, in andere nicht. Er hat eine Toilette und so weiter. Er ist eben Haustier und untergeordnet, gebändigt, in den Status Quo eingepasst. Wenn aber in einem Gebiet plötzlich dutzende wilde Waschbären leben und mir vielleicht Dinge kaputt machen (wirft das Haustier mal ein Glas runter ist das oft eher Quell der Belustigung, es gibt tausende Internetvideos, wie Katzen das sehr mutwillig tun), wenn sie meine Nahrungsvorräte anfressen und die Dämmung aus meinem Haus reißen, dann sind sie sehr viel weniger putzig. Es sind dieselben Tiere, mit denselben Aktionen und weitgehend ähnlichen Verhaltensweisen. Nur nicht innerhalb meiner Regeln. Und damit sind sie eine Bedrohung. Hier ist es, denke ich, ähnlich. KünstlerInnen sind ein Unikum. Wir halten sie uns wie Haustiere. Als Gesellschaft. Sie erfüllen einen gewissen Zweck: Ablenkung, Zerstreuung und sie dürfen auch gern mal einen anderen Blick haben. Sie dürfen im Kabarett sehr offen gesellschaftliche Missstände anprangern und ich applaudiere. Aber danach gehe ich nach Hause, fahre meinen SUV, verbrauche meinen Strom, mein Gas, mein Öl wie gehabt, esse mein Schnitzel aus Massentierhaltung und schnippe meine Kippe auf den Boden. SO wollen wir Kunst. Wenn die Kunst aber plötzlich aus dem Käfig der Veranstaltungssäle und Museen ausbricht und unser Leben beeinflusst, wenn die Kunstinstallation sozusagen den Verkehr in der Berufszeit stilllegt, wenn sie immer und immer wieder den Finger in die Wunden legt und von uns Veränderungen unseres Verhaltens fordert (auch wenn die langfristig unser Leben deutlich verbessern würden, aber es ist erst einmal Anstrengung, Belastung, Veränderung), wenn es ganz viele KünstlerInnen sind, die immer dasselbe tun, dann wird aus dem elitären und aufrüttelnden Kunstobjekt, das distinguierte Herrschaften zu geistvollen Diskussionen anregt, eben eine empfundene Bedrohung der eigenen Lebensweise und Vandalismus. Dass die Gemälde sicher in ihren Rahmen verborgen sind und jedes handelsübliche Spültuch das Problem lösen könnte, ist da unwichtig. Kunst ist Kunst und Aktivismus ist Aktivismus. Und wenn ich die Leute von der „Letzten Generation“ als TerroristInnen ausgemacht habe, da sie Straßen blockieren, dann sind auch andere Aktionen zwingend terroristisch und nicht künstlerisch. „Und“, so würde Wilhem Busch sagen, „so schloss er messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf“. EinE KlimaaktivistIn, der/die etwas aufrüttelndes tut und damit eine küstlerische Aussage trifft? Das darf nicht, das kann nicht das ist nicht. Suppe auf Gemälde ist Vandalismus. Immer. Naja, fast – außer jemand der oder die sich explizit als KünstlerIn definiert und betont außerhalb einer politischen Ecke stellt, macht es. Dann wäre es Performance. Sogar jetzt noch. Wetten?!

Was ich mit all dem sagen will: Warum schaffen wir es nicht, mal einen Schritt zurück zu gehen und in diesen Aktionen genau das zu sehen, was sind: Performance-Kunst, die aufrüttelt und eine wichtige Botschaft transportiert. Und in diesem Fall sogar OHNE etwas zu zerstören. Außer natürlich das Empfinden distinguinerter Herrschaften in einschlägigen Sendungen, weil der heilige van Gogh mal kurz künstlerisch zweckentfremdet wurde. Denken wir doch mal kurz über die Botschaft nach, versuchen wir, Kunst als Kunst zu sehen, auch wenn nicht dick das Label drauf klebt. Vielleicht lernen wir ja sogar etwas. Und das, ich verspreche es, tut auch gar nicht weh.

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