WM Boykott gegen Katar. Oder doch gegen die FIFA…!?

Während ich diese Zeilen schreibe läuft das Eröffnungsspiel der Fußball-WM in Katar. Hätte man mir noch vor dem Turnier in Brasilien im Jahr 2014 gesagt, dass ich einmal nicht einmal wüsste, wann genau und wer eigentlich der Gegner des Gastgebers in diesem Eröffnungsspiel ist – geschweige denn, dass ich es gucken würde -, ich hätte dieser Person vermutlich den Puls gefühlt. Sicher, damals war schon klar, dass es um Katar ging, aber irgendwie war das noch so lange hin, dass ich mir darüber noch keinen Kopf gemacht habe. Und doch ist es jetzt so. Und bisher muss ich sagen: Es ist kein Boykott, es ist ein ignorieren. Es reizt mich einfach null. Nun habe ich gerade in den vergangenen Tagen noch einmal in mich gehorcht, warum es mir eigentlich so gleichgültig ist. Ist es, weil der November nun wirklich kein WM-Monat für mich ist? Ist es die Menschenrechtslage in Katar? Ist es die Art, wie die deutsche Mannschaft sportlich zuletzt aufgetreten ist? Letzteres kann ich in jedem Fall verneinen, denn die Mannschaft ist doch sehr viel besser aufgestellt, als beispielsweise 2002 und vermutlich, was die Vorwetten angeht, auch 2006. Und doch habe ich damals auf die Titelkämpfe hingefiebert. Aber was ist es? Ich bin zu einem Ergebnis gekommen und ich glaube, dass sich das ziemlich gut mit dem deckt, was auch viele andere Fußballfans in Deutschland, vielleicht auch in der Welt, umtreibt.

Große Worte von Verantwortlichen – sie machen mich wütend!

Um sich diesen Gedanken zu nähern möchte ich zunächst auf die Äußerungen von Gianni Infantino, dem FIFA-Präsidenten, auf einer Pressekonferenz am gestrigen Samstag eingehen. Eigentlich müsste ich „Pressekonferenz“, also mit Gänsefüßchen, schreiben, denn in der Tat war es eine einstündige, absurde Show eines Menschen, der vollständig den Kontakt zur Realität verloren hat. Da beklagte sich Infantino über die Scheinheiligkeit der Menschen und Funktionäre speziell in (West-)Europa. Er schwärmte von der WM, sie werde die Beste aller Zeiten. In eine ähnliche Kerbe schlug jüngst Uli Hoeneß. Eigentlich schätze ich ihn (also Hoeneß) in vieler Hinsicht. Er hat im Fußball vieles aufgebaut und sich oft als Visionär erwiesen. Aber die Art, wie er sich zu Katar positioniert, wie er alles schön zu reden versucht, was rund um diese WM abgeht, ist katastrophal. Nun haben schon früher Weltmeisterschaften in absoutistischen Regimen stattgefunden. Russland 2018 habe ich nicht boykottiert. Argentinien 1978 hätte ich vermutlich auch geschaut, wäre ich älter als ein Jahr gewesen. Was also ist an Katar eigentlich das Schlimme?

Es ist mehr die FIFA als Katar

Als ich gestern im Sportstudio die Berichte über diese absurde Infantino-“PK“ gesehen habe, fiel es mir sozusagen wie Schuppen von den Augen. Katar als Land ist emotional zumindest für mich in der Tat eine Art Bauernopfer. So weit haben Infantino und Hoeneß gar nicht mal so Unrecht. Es geht gar nicht so sehr um Katar selbst, es ist die Art der denke der FIFA. Es ist dieses hinwegsetzen über alles und jeden. Ein „gemeinnütziger Verein“, der allein an dieser WM vermutlich sechs MILLIARDEN Euro Gewinn machen wird (was auch immer damit dann passiert). Und zwar auf Kosten der Menschen, die die Stadien und die Infrasturktur gebaut haben, auf Kosten der Umwelt und des Klimas, auf Kosten der Menschen, also der Fans, weltweit und des Fußballs insgesamt. Denn die Selbstherrlichkeit, mit der die FIFA eherne Gesetze gekippt hat, wie sie sich mit jedem Scheiß einverstanden erklärt, nur damit die Kataris glücklich sind, lässt tief blicken. In der Tat könnte man ja sagen: „Leute, wir haben Euch die WM gegeben. Und klar gehört Respekt für die Regeln des Landes ein Stück weit dazu. ABER: Wir haben auch Grundsätze. Z.B. Menschenrechte. Jeder darf seine Meinung zeigen, jeder darf sich verhalten und rumlaufen, wie er oder sie (!) will. Und wenn sich zwei Männer küssen dann ist das zumindest (!) während der WM halt so. Wenn wir von EINER Verhaftung hören, brechen wir das Turnier sofort ab und Ihr seid auf ewig die Schuldigen. Notfalls spielen wir dann aus der Hüfte weiter in nem Land mit guter Stadioninfrasturktur – Deutschland, England, USA oder so.“ Tut man nicht. Denn die Kataris haben halt Geld – und nachweislich mit Millionenbeträgen bestochen. Also lässt man sie gewähren.

Beste WM aller Zeiten“. Aha!

Stattdessen wird gebetsmühlenartig die „Beste WM aller Zeiten“ beschworen. Aber nach welchen Maßstäben genau? Sportlich mag sie okay werden. Auch wenn wirklich viele Stars verletzt fehlen. Aber sonst? Die Stadien sind sicher gut, aber ob sie besser sind als die Football-Tempel in den USA (dem großen Konkurrenten) es gewesen wären? Wohl kaum! Zuschauer? Aus dem eigenen Land kommen ein paar Hand voll. Mehr Einwohner hat Katar ja kaum. Aus dem Ausland trauen sich viele Menschen nicht hin. Alkoholverbot und so weiter machen es sicher nicht anziehender und gekaufte Jubelfans? Die sorgen sicher für echte Atmosphäre. Also was genau soll die WM zur besten aller Zeiten machen? Auf welcher Skala soll Katar besser sein als Frankreich 98, Deutschland 2006 oder Brasilien 2014? Ich hab einen Verdacht: Sechs verkackte Milliarden Euro Gewinn für die FIFA könnten damit zu tun haben…

Ich wünsche mir ein finanzielles Desaster!

Und da sind wir beim Punkt: Meine Gefühle gegenüber Infantino und die ganzen anderen alten Säcke bei der FIFA sind schwer zu beschreiben. Hass wäre fraglos viel zu hoch gegriffen. Aber ich wünsche ihnen ein Scheitern. Ich wünsche mir sehr, dass ihre Haltung ihnen komplett um die Ohren fliegt und sie gerade da, wo es ihnen am wichtigsten ist, einen krachenden Misserfolg erleben: Beim Geld. Ich habe mich gestern bei dem Gedanken erwischt, dass ich mir gerade auch nicht vorstellen kann, die WM 2026 anzuschauen (wobei das nur eine Momentaufnahme ist). Nicht wegen der Menschenrechtslage in den USA – die auch nach Trump immer noch akzeptabel im weltweiten Vergleich ist – noch weniger in Mexiko oder speziell Kanada. Nicht einmal wegen der gigantisch weiten Wege dort, so dass die WM vermutlich CO2-Emissionen generieren wird, wie ein mittelgroßer Weltkrieg. Nein, es ist aufgrund der Art, wie die FIFA sich über allen Dingen, über allen Werten über den Fans, über dem Sport, über Gesetzen und vor allem über jeder Moral wähnt. Die glauben, sie könnten alles machen und es ist meiner Ansicht nach JETZT so weit, ihnen ein dickes Stop-Schild vor die Nase zu halten.

Ja, Katar ist ein Bauernopfer – aber die Probleme sind selbst gewählt

Ich bin nun wirklich kein Fußball-Romantiker im herkömmlichen Sinne. Ich habe Sky, Dazn und Amazon Prime. Ich schaue gern die Champions-League, ich akzeptiere, dass Kommerz im Fußball Einzug gehalten hat, befürworte den Videobeweis (auch wenn er grottenschlecht umgesetzt ist, aber das ist ne andere Sache) und ich habe lieber ein Team wie RB Leipzig in der Bundesliga als einen „Traditionsverein“ ohne Perspektive wie Fortuna Düsseldorf oder Rot-Weiß Essen oder was weiß ich. Aber auch bei mir gibt es Grenzen. Und die sind halt erreicht, wenn man komplett am Bedarf vorbei NUR mit der Macht des Geldes versucht, etwas durchzudrücken. Und nein, hier meine ich nicht Bayern München, die sich über Jahre sehr guter Arbeit diese Position verdient haben. Nicht einmal Leipzig, die über Jahre junge Leute kaufen, sie zu Weltstars machen und teuer verkaufen, dabei aber die Hütte voll haben. Schon eher meine ich Wolfsburg, die ohne VW-Kohle morgen pleite wären, weil sie z.B. auch nicht wirklich viele Fans haben. Aber ganz besonders eben die FIFA. Da wird eine WM in ein Land vergeben, das zum Zeitpunkt der Vergabe nicht genug Fußballfans im ganzen Land hatte, um EIN Stadion in Deutschland (z.B. in Dortmund oder München) zu füllen. Ein Land, das weder Stadien noch eine Nationalmannschaft hatte, die bei ner WM auch nur Aussichten darauf hatte, eine einzige HALBZEIT mit weniger als drei Toren zu verlieren. Auch nicht gegen Außenseiter des Turniers. Das keine einzige Frauenmannschaft hatte und, on Top, bei dem JEDER, der mal drei Sekunden auf ne Klimakarte geschaut hat wusste: Im Sommer wird das nix! Nun wird halt die WM in den Winter verlegt. Das aber natürlich erst vor zwei oder drei Jahren. Bestandteil der Bewerbung und der damaligen Diskussion war das nicht. Konnte ja irgendwie auch keiner absehen, ne?! Klar kann man jetzt sagen „Dafür hat jetzt Brasilien oder Argentinien ne Sommer-WM.“ Aber auch dort sind Spielpläne und Abläufe, Traditionen und so weiter auf die Termine im Juni/Juli ausgerichtet. Für die Menschen dort ist das jetzt genauso ungewohnt. Aber Jahre (!) nach der Vergabe fällt den Herren der FIFA plötzlich auf, dass das ja gar nicht so gut geht mit Spielen bei über 50 Grad. Auch wenn (offene!!!) Stadien voll klimatisiert werden. Denn es braucht ja auch Training und so. Also machen wir das Ganze halt im Winter. Trotzdem klimatisieren wir die Stadien natürlich. Klimawandel? Aber doch nicht bei der FIFA! Katar hat genug Öl, die können den Strom ja herstellen. Wenn man WENIGSTENS die Auflage gemacht hätte, diese ganze Scheiße mit riesigen PV-Feldern zu versorgen, die später zur Energiewende beitragen. Aber nö, das ist Sache der FIFA nicht…

Es ist das Hinwegsetzen über Realitäten

Also, es geht mir persönlich gar nicht so sehr um Katar selbst. Es geht mir um das über Bord werfen aller Logik, aller Moral, um die Einstellung, dass man halt für Geld ALLES macht. Ich habe auch von den olympischen Winterspielen in China NICHTS geschaut. Auch hier: Früher habe ich mir für Olympia Urlaub genommen und bin drei Wochen vor dem TV verschwunden. Von diesen Spielen hab ich nicht eine einzige Entscheidung gesehen. Es hat mich einfach nicht interessiert, wer da in einer der trockensten Regionen der Welt auf Kunstschnee Medaillen entgegenrutscht. Mich kotzt diese Selbstgefälligkeit und die Abkehr von aller Vernunft an. Und für mich geht DAS dann eben im Kommerzdenken über das Maß dessen hinaus, was ich mitzugehen bereit bin. Und hier gilt es für mich dann, eine Grenze zu ziehen. Um es klar zu sagen: Selbst wenn heute die Meldung käme, dass FIFA und Katar alle Arbeiter nachträglich ordentlich bezahlen und die Familien entschädigen, wenn ab morgen Frauen in Katar komplett gleichberechtigt wären und heute ein Gesetz unterzeichnet würde, dass Homosexualität vollkommen normal und gesetzlich geschützt sei – für immer-, würde ich DIESE WM nicht schauen. Denn es wäre immer noch eine Vergewaltigung des Fußballs selbst. Es wäre immer noch eine WM in einem Land, das auch heute null Fußball-Tradition hat. Es wäre eine WM in Stadien, die nach der WM nie wieder gebraucht würden und von denen einige auch sofort wieder abgerissen werden. Es bliebe eine WM mit einem Finale am vierten Advent (glaub ich), an dem ich mit meinen Sohn die Augsburger Puppenkiste schauen will und nicht ein Finale einer Fußball WM! Das gehört bei Bier und Grill in den Juli! Es wäre immer noch eine WM, bei der selbst jetzt noch die Stadien klimatisiert werden, weil man meint man stünde über den fucking Naturgesetzen. Und es wäre immer noch eine WM, die nur durch massive und nachgewiesene Korruption so stattfindet. Während in Deutschland mit der mit ABSTAND besten Bewerbung seinerzeit Niersbach zurücktreten musste und das Denkmal Beckenbauers massive Kratzer bekam, weil man einfach „das Spiel mitgespielt hat“, habe ich noch nicht viel der Aufarbeitung gehört, was die Vergabe der WM an das Land mit der SCHLECHTESTEN Bewerbung seinerzeit (was die Inhalte angeht) angeht. Und davon möchte ich kein Teil sein. Und ich bin überzeugt: DAS ist es, was die meisten Menschen zumindest in Deutschland ebenfalls ankotzt.

Was ich mir wirklich wünsche

Ich wünsche mir mal wieder eine WM für die Fans. Eine in weitgehend bestehenden Stadien mit Tradition (von mir aus mit ein paar Modernisierungen). Eine mit Stehplätzen und Stimmung, bei der der Fußball wichtiger ist als die Häppchen im VIP-Bereich. Eine WM ohne große Bauarbeiten. Entweder in hochmodernen bestehenden Stadien in Deutschland, England, USA oder Spanien (mit Abstrichen), oder eben in traditionellen, aber vielleicht kleinen oder unkomfortablen in Argentinen, Mexiko, Tunesien, Marokko oder was weiß ich. Oder irgendwas dazwischen in Italien, in Japan, in Australien oder von mir aus Österreich, der Schweiz oder Tschechien. Ich will kein Brimborium, kein Milliardenevent für die FIFA. Ich will eine WM für Fußball, für die Fans, für Völkerverständigung. Und da hilft keine WM-Vergabe an Russland oder Katar, keine an einen ganzen verkackten Kontinent (USA, Kanada, Mexiko 2026) und vermutlich auch nicht, was danach kommen wird (China anybody?!). Was wir brauchen ist eine komplette Neuausrichtung der FIFA. Die müsste entweder auf Gewinne verzichten oder die Gemeinnützigkeit verlieren und entsprechend Steuern zahlen – idealerweise in dem Land, in dem die Gewinne erwirtschaftet werden. Es braucht junges, frisches Blut, Diversität und eine Ausrichtung auf den Sport, nicht den Kommerz. Und am liebsten einfach eine Gegenorganisation. Was hätte ich Bock, ein Superreicher zu sein – ich würd so nen Laden einfach gründen und Gegenevents ausrichten. Und dann mal sehen, wer was lieber schaut und welcher Spieler lieber wo aufläuft. Das wäre lustig und spannend. Und ich würde Gianni Infantino weinen sehen. Allein das wäre es wohl wert…

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