Panzer für die Ukraine: Strategisch (für mich) durchaus fragwürdig

Ich glaube, es gibt für mich aktuell kein Thema, bei dem es mir so schwer fällt, mich für eine Position entscheiden, wie die Panzerlieferungen – oder insgesamt die Lieferung schwerer Waffen – an die Ukraine. Täglich lese ich dazu Diskussionen in sozialen Medien, sehe solche in irgendwelchen Talksendungen und ich bin beeindruckt, wie sicher die Leute offenkundig bei ihren Positionen – egal ob pro oder contra – sind. Generell bin ich absolut dafür, die Ukraine zu unterstützen. Gar keine Frage! Aber sind von der Bundeswehr gelieferte Leopard-Panzer (oder auch Schützenpanzer, Panzerartillerie und so weiter) dafür wirklich der richtige Weg? Ich bin da durchaus nicht überzeugt. In meinen Augen werden hier wichtige Fragen gar nicht gestellt. Und da geht es mir nicht darum, dass Russland es als Kriegserklärung ansehen könnte. Selbst wenn das so wäre: Was sollten sie tun? Deutschland und damit die NATO angreifen? Sie kommen militärisch nicht einmal gegen die Ukraine klar. Da dürfte die NATO doch acht bis zwölf Nummern zu groß sein. Und das wissen sie. Selbst zusammen mit China würden die Russen gegen die NATO klar den Kürzeren ziehen. Und China würde mit einem offenen militärischen Vorgehen seine Wirtschaft ruinieren. Auch das halte ich für sehr, sehr unwahrscheinlich. Nicht unmöglich, sicher, aber nein, für mich ist das keine der entscheidenden Fragen. Selbst dass die nun diskutierten Panzer ein durchaus sehr nennenswerter Teil der funktionsfähigen Leopard 2-Panzer der Bundeswehr sind und damit Deutschlands Verteidigungsfähigkeit geschwächt wird, sehe ich nicht als Problem am. Zumindest nicht als großes. Am Ende sitzen wir mitten in Europa und ein Feind kann ja im Prinzip nur aus dem Osten kommen. Im Westen kommt nur EU und Wasser und selbst dahinter nur NATO-Partner. In Nord und Süd ist es nicht so sehr anders. Also ist die Sicherung der Ostflanke hier militärstrategisch sehr sinnvoll.

Ethik und Moral: Waffen für den Frieden?

Ein Punkt, mit dem ich mich ohne Frage schwer tue, ist die generelle Lieferung von Waffen. Ich bin absoluter Pazifist und generell der Meinung, dass Gewalt immer die schlechteste aller denkbaren Lösungen ist. Ich glaube, jede Art von Gewalt schafft immer nur ein mehr an Leid. Und an Hass und Ressentiments. Ohne Ausnahme. ABER: Natürlich ist Gewalt in dem Fall in Ordnung, wo sie defensiv respektive in Notwehr ausgeübt wird. Das ist in der Ukraine ohne Frage der Fall. Die Menschen dort kämpfen für ihre Freiheit und das Recht der Selbstbestimmung. Generell könnte man natürlich sagen: Wo ist Euer Problem? Ihr sprecht russisch und die meisten von Euch waren sogar in der Vergangenheit ein Staat mit Russland. Aber eine solche Argumentation lässt halt außen vor, dass Russland beispielsweise nicht eben demokratisch ist und man dort nicht so richtig frei seine Meinung – schon gar nicht über die Regierung – sagen kann. Ich kann schon gut verstehen, warum man nicht von diesem Land regiert werden will. Ob ich dafür in den Krieg ziehen wollte? Ich hoffe inständig, diese Frage nie für mich beantworten zu müssen. Ich halte die Vorstellung in einen Krieg zu ziehen, auf Menschen zu schießen oder auf mich schießen zu lassen, für derart absurd und unvorstellbar, dass ich mich nicht einmal in die Situation hinein versetzen kann. Wohlgemerkt: Ich war (als Wehrpflichtiger) beim Bund. Aber das waren für mich eher ziemlich nervige Räuber-und-Gendarm-Spielchen. Also: Mit der moralischen Frage, ob eine Waffenlieferung für defensive Zwecke beziehungsweise zur Selbstverteidigung für mich okay ist, tue ich mich in der Tat schwer. Ich denke aber am Ende, dass man wohl oder übel zu dem Schluss kommen muss, dass der Ukraine geholfen werden muss. Mit allen Mitteln, die halt nötig sind.

Frage nach strategischem Nutzen wird nicht gestellt

Für mich ist da aber halt die Frage, was nötig und vor allem sinnvoll IST. Sicher bin ich kein Militärstratege und generell kein Militarist. Zugleich bin ich aber ein begeisterter Doku-Gucker und da sind auch durchaus solche über Militärthemen dabei. Und was ich schon sehr oft gesehen habe: Der strategische Wert von Panzern für eine Armee ist durchaus fragwürdig. Statistisch ist die Lebenserwartung von Panzerbesatzungen geringer, als von normaler Infanterie. Warum? Nun, Panzer sind trotz aller moderner Technologien bis hin zu Reaktivpanzerung und dergleichen, halt groß, laut, haben Wärmeabstrahlung und sind somit schlecht zu verbergen. Ein einzelner Infanterist mit ner Panzerfaust oder ähnlichen Raketenwaffen, vielleicht sogar mit einer PAK, also einer Panzerabwehrkanone mit panzerbrechender Munition, kann ein solches Multimillionen-Kampfgerät abschießen und die Besatzungen töten. Panzer haben vor allem einen psychologischen Nutzen. Zumindest in den meisten strategischen Situationen. Natürlich: Die Deutsche Wehrmacht ist mit ihrer Blitzkriegtaktik mit starken Panzerverbänden durch feindliche Infanterielinien gebrochen und hat diese dann umgangen und eingekesselt, um sie aufzureiben. Aber das ist eine Taktik, die am Ende eher große, tendenziell zahlenmäßig überlegene Armeen anwenden können. Und vor allem brauchen sie eines: Luftüberlegenheit. Denn wenn wir uns eine solche Panzerspeerspitze vorstellen, die von einer einzigen Staffel Jadbomber mit Lasergesteuerten Waffen angegriffen wird, dann wird es dunkel – nachdem es kurz vorher sehr hell durch explodierende Panzer war. Nun haben wir es aber in der Ukraine mit einem in der strategischen Situation eher asymetrischen Krieg zu tun. Ich habe vom ersten Tag an gesagt: Russland kann diesen Krieg nicht gewinnen. Und das obwohl ich davon ausgegangen bin, dass es in weniger als zwei Wochen die Ukraine überrennen wird (wie auch so ziemlich jeder General, der sich öffentlich geäußert hat). Aber gegen eine motivierte Bevölkerung, die überdies von der halben Welt mit Waffen versorgt wird, kann eine Kontrolle halt nicht gelingen. Die gefährlichen Waffen – das zeigen Afghanistan, Irak, Vietnam und ähnliche Kriege – sind vor allem kleine, portable Waffensysteme. Bewaffnete Einsatzgruppen, die als Guerilla schnell zuschlagen und sich entfernen, Stinger-Raketen gegen Hubschrauber und Flugzeuge, fraglos Anti-Panzer-Waffen und dergleichen. Aber halt als klassische hit-and-run-Taktik. Nun hält sich die Ukraine viel besser als wohl jeder erwartet hätte – trotzdem bleiben sie von Systemen und Personal her die unterlegene Armee. Und das wird sie auch mittelfristig bleiben. So schnell können wir gar nicht Waffen liefern, das auszugleichen.

Luftüberlegenheit macht Panzern das Leben schwer

Vor allem eine Sache ist aus meiner Sicht der große Nachteil der Ukraine hinsichtlich schwerer Waffensysteme: Luftüberlegenheit der Russen. Ob es jetzt den „Geist von Kiew“ gab oder gibt sei mal dahingestellt. Der Punkt ist aber: Unter dem Strich hat Russland weit mehr Flugzeuge, Hubschrauber und vor allem Piloten dazu. Und wenn ein moderner Jagdbomber einem Panzer gegenübersteht, dann hat der Panzer schlicht keine Chance. Das war im Prinzip schon im zweiten Weltkrieg so. Heute ist es noch viel mehr der Fall. In der Folge wäre ich also durchaus eher gesprächsbereit, wenn es um Tornados, Eurofighter, oder moderne US-Jäger wie die F-22 (momentan wohl der klassische Luftüberlegenheitsjäger) geht. Ihr Nutzen wäre aus meiner Sicht und nach allem, was ich weiß, sehr viel größer als der von Panzern. Aber dann kommen wir zu einem zweiten ziemlich großen Problem: Eine Stinger-Rakete oder Panzerfaust kann jeder Guerilla mit ein paar Stunden Einweisung jederzeit abschießen. Gleiches gilt für Sturmgewehre, für Granaten oder Sprengfallen. Das zeigen ja die oben erwähnten Konflikte. Die Einweisung auf nen Leopard dauert. Das wurde schon hinsichtlich der Gepard-Panzersysteme diskutiert. Ein Panzer ist ein absolutes Hightech-Gerät, das nicht mal eben so gefahren wird. Schon gar nicht, wenn ich von Hause aus mit kyrillischen Buchstaben aufgewachsen bin und plötzlich einen deutschen Panzer mit deutschen Beschriftungen geliefert kriege. Noch dramatischer ist dieser Effekt wenn es um Flugzeuge geht. Es gibt wohl wenige komplexere Maschinen als moderne Kampfjets. Das sind fliegende Computer. Da braucht es eine ziemlich ausführliche Einweisung und die Pilotenfähigkeiten obendrein. Also die Ukraine auf einen Stand zu bringen, dass sie die Luftüberlegenheit über ihrem eigenen Luftraum hat, das ist so schnell wohl kaum machbar. Und so lange das nicht gegeben ist, sehe ich den Nutzen in leicht aufspürbaren schweren Waffensystemen mindestens als gering an.

Leichte Waffen und Diplomatie

Ich fürchte also, dass die Panzer der Ukraine strategisch so gut wie gar nicht helfen. Meiner Ansicht nach ist das eher Symbolpolitik. Lieber sollte man das Land – rein strategisch betrachtet – mit mobilen Luftabwehrsystemen oder sogar schweren Luftabwehrsystemen, also Patriots und so weiter – fluten. Wenn Russland keine Flugzeuge und Hubschrauber mehr gefahrlos hin schicken kann, dann wird der Kampf sehr viel schwerer für sie. Zumal Piloten und Jets heutzutage eine militärisch hochwichtige strategische Ressource sind. Am Ende ist es doch so: Reguläre Armeen verlieren, wenn sie nicht gewinnen, Guerilla gewinnen, wenn sie nicht verlieren. DAS muss die Ukraine nutzen. Sie muss es für Russland teuer machen. So teuer wie möglich Sie MUSS den Krieg gar nicht in großen Schlachten gewinnen. Sie darf ihn nur nicht verlieren und muss – so abscheulich das ist und ich bitte das jetzt als REINE militärstrategische Überlegung zu lesen – Russland an Material und leider auch Personal so schwere Verluste zufügen, dass der Einsatz am Ende zu teuer und politisch nicht mehr durchsetzbar wird. Parallel muss man, gemeinsam mit der Staatengemeinschaft, Russland kleinere Zugeständnisse machen, die Russland als Sieg werten und Putin innenpolitisch verkaufen kann (auch wenn sie das faktisch nicht sind). Meine Vorschläge dazu habe ich vor einiger Zeit schon gepostet. Kurz gesagt: Von der UN durchgezogene Referenden in den Provinzen, die Russland völkerrechtswidrig annektiert hat – mit Scheinreferenden. Inklusive Sicherheitsgarantien für die „unterlegene“ Bevölkerungsgruppe unabhängig vom Ausgang. Durch internationale Polizeigruppen (natürlich auch, sollten sie für einen Anschluss an Russland stimmen). Außerdem eine Zusage, dass die Ukraine zwar frei ist, sich der EU anzuschließen, aber nicht in die NATO kommt. Dafür dann halt ein sofortiger Abzug. Außerdem den Verzicht auf Reparationszahlungen und Anklagen vor dem internationalen Gerichtshof. Allem anderen würde Putin meiner Einschätzung nach niemals zustimmen. You got to give to get. Und am Ende sind Menschenleben wichtiger als Prinzipien und das Gefühl von „es darf sich gar nicht lohnen“. So bitter das ist. Schließlich müsste dann die Staatengemeinschaft der Ukraine mit vielen hundert Milliarden für den Wiederaufbau helfen. DAS ist in meinen Augen der erfolgversprechendste, beste und nebenbei mit den wenigsten personellen und finanziellen Verlusten vor allem auf Seiten der Ukraine funktionierende Weg. Panzer sind ein Symbol. Mehr – meiner Überzeugung und meines militärstrategischen Wissens nach – sind sie nicht. Sie werden den Krieg nicht verkürzen, nicht verändern und die Lage der Ukraine nicht verbessern. Sie werden nur abgeschossen werden. Selbst WENN es gelänge, halbwegs zeitnah entsprechende Besatzungen auszubilden und einzulernen. Davon bin ich leider überzeugt.

Die Geschichte lehrt: Andere Taktiken führen zum Erfolg

Für mich sind es politische Reflexe, die zeigen, dass niemand in ein Geschichtsbuch geschaut hat. Ich mag mich hier täuschen, wie gesagt, ich bin kein Militärexperte und möchte keiner sein, aber ich sehe mit allem was ich weiß schlicht KEINEN Weg, wie Panzer in einer Situation einen strategischen Wert haben sollen, in der der Gegner eine erdrückende Luftüberlegbenheit hat. Ich glaube, das letzte Mal, dass große Panzerverbände einen Unterschied gemacht haben, war die Schlacht um Berlin 1945… Und das war MIT Luftüberlegenheit. Ohne? Ich wüsste nicht einen einzigen Fall. Schon gar nicht, wenn wir von nem guten Dutzend reden. Und so neige ich dazu, zu sagen: Ich wäre zwar BEREIT, Panzer zu schicken, sehe aber andere, kleine und portable Waffensysteme als viel wichtiger an. Und ich würde diese vorziehen. Zumindest wenn es darum geht, den Krieg im Sinne der Ukraine zu gestalten und nicht Symbolpolitik zu betreiben (die natürlich in gewissem Maße auch ein Sinn in sich sein kann. DANN aber darf man vorher nicht wochenlang diskutieren.) Aber selbst mit dieser Überzeugung bin ich mir nicht sicher genug, in irgendeine Diskussion einzusteigen und einen Standpunkt vehement zu vertreten. Und ich fürchte: 99 Prozent der Leute, die sich so sicher sind, haben noch deutlich weniger militärstrategisches Wissen als ich…

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